Der Weltensammler: Roman (German Edition)
konnte er nicht an sich halten, er mußte sie auflesen, er mußte sie betrachten und er konnte sich nicht mehr von ihnen trennen, er konnte sie nicht wegwerfen, er mußte ein Loch durch jeden dieser aufgelesenen Gegenstände bohren und sie alle aufschnüren zu einer Halskette, die er stets trug, auf seiner Brust, diese seltsame Kette, an der ein halbes Dutzend Medizinflakons, der Schlüssel einer Sardinendose und einige Metallteile baumelten. Jetzt begreift sie: Der Fremde trug Abfall an seinem Körper, dieser verzierte Mann, den Abfall der Karawanen, die durch das Land gezogen waren, und Sidi Mubarak Bombay, ihr Ehemann, an dessen Merkwürdigkeiten sie sich niemals gewöhnen wird, nicht solange sie noch etwas empfinden kann, war an vier von diesen Karawanen beteiligt gewesen, er hat sie sogar geführt, wenn sie seinen Erzählungen glauben will, und deswegen ist er auf seine verquere Art beglückt über diesen Fremden, der die Häutungen seiner eigenen Reisen am Körper trug. Ein Lächeln fließtüber ihr Gesicht, er ist wahrlich wie kein anderer, dieser kindliche Alte, der sie immer wieder aufs neue überrascht.
Als sie ihm mitteilt, das Essen sei bereit, antwortet er versöhnlich: Laß uns heute abend gemeinsam essen. Sie mischen das Curry mit dem Reis, im Schweigen ballen ihre Finger den Reis zu mundgerechten Portionen. Er ißt wenig, aber sie kann sehen, es schmeckt ihm. Als er sich zurücklehnt, richtet sie sich mühsam auf, bringt ihm eine Schale mit Wasser, in der er sich die Finger waschen kann. Dann läßt sie ihn allein, um in der Küche aufzuräumen, und um Wasser zu erhitzen, das sie in einen Eimer gießt und ins Schlafzimmer stellt, bevor sie ihm zuruft: Das Wasser für dein Bad, es steht bereit. Als sie ihn erblickt, ist er nur noch mit einem Kikoi bekleidet. Sie betrachtet seinen knorrigen Körper, sie sitzt auf dem Bett, ihre Füße nackt, und sie erinnert sich daran, wie seltsam es ihr als Mädchen vorgekommen war, mit einem Mann zusammenzusein, der kleiner war als sie. Sie hat damals sogar befürchtet, sein Glied könnte zu klein sein, um ihr Geschlecht auszufüllen. Einmal, nachdem sie ein wenig Zutrauen zu ihm gefaßt hatte, traute sie sich, ihn auf seine Körpergröße anzusprechen. Er lachte. Dafür bin ich stark und nicht so leicht umzuwerfen. Ich bin ruhelos, aber nicht zu entwurzeln. So war es denn auch. Lerne den Baum kennen, an den du dich lehnen willst, hatte ihr Vater ihr einmal geraten. Sie hat den Baum nicht auswählen können, doch das Gewicht, das sie an den Mann gelehnt hat, an den sie verkauft worden war, das hat er stets ausgehalten. Bwana, sagt sie zu ihm, langsam, um jedes Wort auszukosten, ich bin deine Ehefrau. Laß uns Liebe machen, Bwana, ich verspüre Lust. Worauf Sidi Mubarak Bombay seufzt, seinen Blick aufrichtet und bedächtig zu ihr ans Bett schreitet. Es bedarf einiger Anstrengung, dieser Tage, aber danach empfinden sie noch immer Glück.
OFFENBARUNG
In den Tagen nach der Beerdigung ging der Priester die Ereignisse jener Nacht an der Seite des Sterbenden immer wieder durch, bis er die Erinnerung nicht mehr ertragen konnte. Unter den Vorwürfen, die er sich machte, bedrückte ihn einer besonders. Die Ehefrau hatte ihn zu einer si es capax gedrängt, der Letzten Ölung für jene, die nicht mehr bei Bewußtsein sind. Aber der Brite war bei Bewußtsein gewesen, er hatte ihm in die Augen geblickt, als er sich über ihn gebeugt hatte. Der Priester hatte keinen Versuch unternommen, mit ihm zu sprechen. Statt dessen hatte er dem Drängen der Ehefrau nachgegeben, er hatte sich nicht getraut zu fragen, ob der Sterbende das Sakrament wünsche, geschweige denn, ob es ihm zustehe. Obwohl er den Mann nicht kannte. Was war er nur für ein Priester? Es mußte einen Weg geben, die Wahrheit zu erfahren. Erst dann würde er seinen Seelenfrieden wiederfinden. Wenn er die Diener ausfragte? Diener wissen doch alles. Zudem würden sie ehrlichere Auskunft geben als die Ehefrau, der er nicht vertrauen konnte, gerade weil sie so eine eifrige Katholikin war. Verwirrend. Es war eine bedrohlich unverständliche Situation.
Bei der Sonntagsmesse bemerkte Massimo, wie ihn ein Priester beäugte. Ein vornehm aussehender Priester. Doch er schien mehr Interesse an ihm zu haben als an der Messe. Er sah aus wie ein Diener Gottes, der den Reichen beistand. Ein junger, glattrasierter Mann mit hochnäsigem Blick. Er hatte sich bestimmt verlaufen, in dieses Viertel. Am Sonntag morgen? Wieso
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