Der werfe den ersten Stein
enthalten war.
Zehn Minuten später reckte Elina die rechte Faust. Sie nahm einen Stift und notierte die Adresse.
Sie öffnete ihre funkelnagelneue private E-Mail-Box, klickte auf »New message«, schrieb Mikaels Adresse hinein und ging hinunter ins Nachrichtenfeld.
Erzähl von deinen Gedanken heute Morgen.
Sie führte den Pfeil auf »Send« und schickte den Brief ab. Dann lehnte sie sich zurück und wartete.
Erst als ihr Rücken zu schmerzen begann, wurde ihr bewusst, dass sie lange in derselben Haltung dagesessen hatte. Sie schaute auf die Uhr. Es war fast elf. Sie hatte mehr als zwei Stunden gewartet.
Es funktioniert nicht, dachte sie. Er antwortet nicht.
Im selben Moment tauchte die Nachricht über einen Eingang auf. Eine Mail von Mikael Adolfsson. Elina spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
Kontakt, dachte sie.
Sie klickte sich in die Nachricht und begann zu lesen.
Ich hab an den gedacht, der mein Fahrradschloss mit Kaugummi verklebt hat, als ich noch zur Schule ging. Gestern hab ich den jämmerlichen Kerl in der Stadt gesehen. Er glaubt, ich weiß nicht, dass er es war. Aber das wusste ich damals schon, als er es getan hat. Ich hab mich mal an mein Fahrrad rangeschlichen, und da hab ich gesehen, wie er und seine blöden Kumpel das Kaugummi draufgeklebt haben. Ich hab es meinem Lehrer gesagt, aber der hat nichts gemacht. Und ich war zu schwach, um was zu machen. Aber jetzt bin ich nicht mehr schwach.
Kontakt, dachte Elina wieder. Ich habe den Stummen zum Reden gebracht.
Was willst du tun, jetzt, wo du nicht mehr schwach bist?, schrieb sie und schickte die Nachricht sofort weg.
Sie sah auf die Uhr und wartete. Sieben Minuten und zwanzig Sekunden später kam die Antwort.
Alle sollen erfahren, dass ich stark bin. Dass ich vor niemand Angst habe. Wer das nicht glaubt, der soll fühlen, wie das ist. Und das wird wehtun.
Sie überlegte, wie sie fortfahren sollte. Wenn sie zu schnell vorging, würde sie ihn vielleicht erschrecken und er würde wieder schweigen.
Wer, meinst du, sollte als Erster erfahren, wer du eigentlich bist?
Die Antwort kam rasch.
Niemand Bestimmtes. Aber einige sind wichtiger als andere. Die Idioten, die immer noch glauben, ich bin schwach. Die, die mir früher was getan und immer gesiegt haben. Es muss nicht sofort passieren. Ich kann warten. Ich hab Zeit. Ein starker Mensch kann immer warten. Ein Habicht, der hoch über seiner kleinen Beute segelt. Er kann in der Luft ausruhen. Und zuschlagen, wenn es niemand ahnt. Die sollen nicht glauben, dass ich vergessen habe. Das hab ich nicht. Ich vergesse nie. Einer hat es schon erfahren.
Der Vater, dachte Elina. Er hat Mikaels neue Stärke zu spüren bekommen. Ihre Hände zitterten, als sie sie wieder auf die Tasten legte.
Wer hat erfahren, wie stark du bist?
Sie schickte die Nachricht ab.
Antworte, Mikael, antworte, dachte sie.
Sie verfolgte den Sekundenzeiger mit den Augen. Eine Runde nach der anderen. Der Minutenzeiger bewegte sich langsam vorwärts. Als er eine halbe Runde geschafft hatte, gab Elina auf.
Ich habe den Kontakt verloren, dachte sie.
43
Am nächsten Morgen war Elina schon vor sieben im Polizeipräsidium. Sie hatte wieder unruhig geschlafen, die Träume hatten im Lauf der Nacht ihre Gestalt verändert, aber immer damit geendet, dass sie festsaß. Was sie auch versuchte, immer war ein Hindernis im Weg.
Der Nachmittag des gestrigen Tages war ein endloses Warten gewesen. Sie hatte versucht, sich zu beschäftigen, aber ihr Blick wurde immer wieder magisch vom Bildschirm angezogen. Eine Antwort von Mikael war nicht gekommen, und sie wagte es nicht, ihn mit einer neuen Frage in Stress zu versetzen.
Jetzt war sie nervös, es könnte ihr nicht gelingen, den Kontakt wiederherzustellen. Vielleicht war alles nur ein Zufall gewesen und Mikael würde sich wieder in sich selber verkriechen. Fast lief sie das letzte Stück über den Korridor zu ihrem Zimmer.
»Mach schon, du lahme Ente«, sagte sie laut, während sie den Computer startete.
Schließlich erschien die Liste der eingegangenen E-Mails. Ganz oben war eine Nachricht von Mikael ohne Überschrift. Sie war von 03.02 Uhr. Elina hatte ihre Hände kaum unter Kontrolle, als sie sich einklickte. Fünf Wörter, nicht mehr.
Ich denke an meinen Vater.
Sie erhob sich heftig und begann, im Zimmer hin- und herzugehen.
Was soll ich tun?, dachte sie. Tu jetzt das Richtige, Elina. Tu das Richtige. Mach keinen Fehler.
Sie warf sich auf ihren Stuhl und schrieb eine neue
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