Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
führten. Davon, was aus April werden sollte. Über Lebensqualität, wie unfair es für sie war, wie sie niemals ein normales Leben führen würde, dass es vielleicht besser für sie wäre, wenn sie …
»… tot wäre?«, beendete Terry den Satz für mich. »Das hast du gesagt?«
Ich schlug die Augen auf. »Ich habe es gesagt, aber ich glaube nicht, dass ich es so gemeint habe. Sicher bin ich mir immer noch nicht. Ich glaube, ich habe den Advocatus Diaboli gespielt, um ihre Gefühle auf die Probe zu stellen. Ich weiß noch, wie ich ihr gesagt habe, den Ärzten sei es ja möglich, nicht so viel Mühe auf lebenserhaltende Maßnahmen zu verwenden, dann könnte sie ruhig gehen, ohne Schmerzen. Ich habe nicht gesagt, sie sollten das tun, nur dass sie es tun könnten. Sie drehte durch; sie warf mir alles Mögliche vor und sagte, ich hätte mich mit den Ärzten verbündet, dass wir uns alle April tot wünschten und ich sie nicht lieb hätte, weil sie nicht vollkommen war, dass ich alles verabscheute, was nicht hundert Prozent korrekt sei. Sie kreischte und schlug auf mich ein. Schließlich wurde sie still und sprach kaum noch mit mir. April starb einen Tag später. Deborah sagte nichts, aber ich wusste, dass sie mir die Schuld gab. Sie dachte, ich hätte mit den Ärztengeredet und sie veranlasst, es zu tun. Hab ich aber gar nicht, Terry, ehrlich nicht. Ich habe sie nicht getötet. Ich würde doch nie ein Kind töten.«
Sie hielt mich ganz fest. »Ich weiß, Jamie. Ich weiß, dass du das nicht tun würdest.«
»Ich habe versucht, das Deborah zu sagen, aber sie wollte mir nicht zuhören. Sie kam nie wieder nach Hause, sondern zog zu einer Freundin. Ein paar Monate später reichte sie die Scheidung ein. Jetzt benutzt sie ihre Anwältin, um mich zu bestrafen.«
»Sie braucht jemanden, dem sie die Schuld geben kann, Jamie, das ist alles. Wenn sie die dir zuschieben kann, befreit es sie von ihrer eigenen. Je härter sie dich bestrafen kann, desto besser fühlt sie sich.«
»Gott, glaubst du etwa, das weiß ich nicht?«, fragte ich, unfähig, nicht bitter zu klingen, obwohl ich nicht sauer auf Terry war. »Ich bin der Psychologe, schon vergessen?«
»Ja, ich weiß«, sagte sie. »Aber manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.«
»Genau. Tut mir leid.«
»Da ist nichts, was dir leidtun müsste, Jamie. Und du brauchst dich auch nicht schuldig zu fühlen. Du hast nichts Unrechtes getan.«
»Ich weiß«, sagte ich, aber im Grunde war ich mir nicht so sicher. Im Innersten fühlte ich mich wirklich schuldig, weil ich mir nicht sicher war, ob ich mir Aprils Tod nicht doch gewünscht hatte. Bewusst hatte ich wirklich den Advocatus Diaboli für Deborah gespielt, um sie auf Aprils Tod vorzubereiten, den die Ärzte vorausgesagt hatten, doch in den schwarzen Tiefenmeines Unterbewusstseins lauerte der Gedanke, dass ich sie mir vielleicht, nur vielleicht, weggewünscht hatte, weil sie nicht vollkommen war – sie erinnerte daran, dass Dinge schiefliefen, die man nicht in Ordnung bringen konnte, und dass die Zeit kommen würde, in der mein eigener Körper nur noch Schrott war. Deborah wusste, was ich in Bezug auf das Älterwerden empfand. Gegen Ende warf sie mir das vor. Der Wagen, hatte sie gesagt, darum würde ich so viel an meinem Auto herumbasteln, weil das etwas war, das ich am Älterwerden hindern konnte, wenn ich Zeit und Geld investierte. Doch das würde nichts nützen, sagte sie, der Wagen würde immer noch da sein, lange nachdem es mich nicht mehr gab. Ich sei das Problem, nicht der Wagen. Ich sei derjenige, der älter wurde, und ich sei auch derjenige, der sterben musste, warum also würde ich nicht verdammt noch mal erwachsen und akzeptierte es.
Nicht alles im Leben war vollkommen und nicht alles blieb vollkommen. Ein Teil von mir wollte das Terry erklären, aber ich tat es nicht – ich ließ es mir nur durch den Kopf gehen, immer im Kreis herum wie ein Kinderkarussell, goldene Pferde mit aufgerissenen Mäulern und Augen, die immer schneller galoppierten, ohne jemals irgendwo anzukommen.
»Sachte, Jamie«, sagte Terry und strich mir über die Stirn. »Immer schön locker bleiben! Du schnaufst ja wie eine Lok.« Sie rieb ihre Nase an meinem Hals und küsste mich sanft, murmelte in einer Sprache, die ich nicht verstand, mich aber dennoch beruhigte, bis mich schwarze Wellen umspülten und ich wieder einschlummerte.
DIE BESUCHER
Als ich aufwachte und sie mich immer noch in ihren Armen hielt, fühlte ich mich
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