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Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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zurück »Nein! Nein!«
    Dann wachte ich auf und fand Terrys Gesicht über mir, ihr Haar streifte mein Gesicht. »Jamie? Was hast du denn?«, fragte sie, als sie mir die Stirn fühlte. Ich schwitzte.
    »Ich habe schlecht geträumt«, sagte ich.
    »Was du nicht sagst. Wovon denn?«
    Ich schüttelte den Kopf und schluckte. »Nichts«, sagte ich.
    Sie lächelte wehmütig. »Jamie, wenn du es mir nicht erzählen willst, ist das eine Sache, aber du brauchst nicht zu lügen. Seit fünf Minuten liege ich hier neben dir und überlege, ob ich dich wecken soll oder nicht. Du sahst so elend aus, also komm mir bloß nicht mit diesem ›Nichts‹-Scheiß.«
    Ich schloss die Augen. »Tut mir leid«, sagte ich. »Das ist mein Problem.«
    »Dein Problem?«, wiederholte sie stirnrunzelnd. Sie legte sich neben mich, ihr Kinn ruhte auf ihrer rechten Hand, während sie mit der linken auf meiner Brust herumspielte. »Kam ich darin vor? In dem Traum?«
    »Ja«, sagte ich. Es fiel mir leichter, mit geschlossenen Augen zu ihr zu sprechen, vor denen seltsame Muster in Rot und Orange, Spiralen und Kreise, fast hypnotisch, herumtanzten. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen, als spräche sie zu mir vom anderen Ende eines sehr langen Tunnels.
    »Du hast was von einem Baby geschrien?«
    »Ein Kind. Wir haben ein Kind gejagt.«
    »Wir?«
    »Du und ich. Wir waren in einem Wald, einem furchterregenden, dunklen, grausamen Wald, geschwärzte Bäume, Brombeergestrüpp, ein Ort des Grauens. Wir sind geflogen.«
    »Geflogen?« Sie schien amüsiert.
    »Wir sind durch die Wälder geflogen, über ihnen, und dann haben wir ein Paar mit einem Kind überfallen.« Ich spürte einen Druck auf den Augenlidern und merkte, dass Terry sie sanft küsste. »Du hast sie getötet«, sagte ich. »Du hast ihnen die Kehle herausgerissen.«
    »Das war doch nur ein böser Traum«, sagte sie begütigend. »Wir fliegen nicht durch die Luft, Jamie. Wir reißen den Leuten nicht die Kehle heraus. Wir töten keine Kinder. Wir töten keine Babys.«
    Dann flossen die Tränen. Sie stiegen auf und quollen gewaltsam unter meinen geschlossen Lidern hervor. Sie wischte sie sanft mit dem Handrücken weg.
    »Wer ist denn April?«, fragte sie. Ich verspannte mich, zuckte fast zusammen. Sie streichelte wieder meine Stirn. »Du hast ihren Namen gerufen. Und Deborah, den Namen deiner Frau. Wer ist April?«
    »Meine Tochter«, sagte ich. Die beiden Wörter klangen seltsam. Ich glaube, ich hatte sie noch nie ausgesprochen.
    »Ich wusste nicht, dass du eine Tochter hast«, sagte sie.
    »Ich habe keine«, antwortete ich. »Nicht mehr.«
    »Was ist passiert?«, flüsterte sie kaum hörbar.
    »Sie ist gestorben.«
    »Jamie, das tut mir leid. Es tut mir so leid.« Sie lag eine Weile stumm neben mir. Schließlich fragte sie: »Möchtest du darüber reden?«
    »Nein«, sagte ich. »Doch. Ich weiß nicht.«
    »Wie ist sie gestorben?«
    »Im Krankenhaus. Ein paar Tage nach ihrer Geburt.«
    »War sie krank?«
    »Sie wurde mit Spina bifida, mit offenem Rücken, geboren. Von der Taille abwärts war bei ihr alles kaputt. Gott, es war so traurig. Der übrige Körper sah so vollkommen aus – ihre Händchen, der Mund, große blaue Augen wie ihre Mutter. So süß war sie! Aber alles andere war verkrüppelt. Wir konnten gar nichts tun, und die Ärzte auch nicht.«
    »Wann war das?«, fragte sie.
    »Vor rund einem Jahr. Letzten April. Darum haben wir ihr diesen Namen gegeben.«
    »Habt ihr euch deshalb scheiden lassen?«
    Jetzt schossen die Tränen heraus, und ich schlug die Augen auf, ließ sie über die Wangen rinnen und das Kissen durchnässen. Nicht zum ersten Mal weinte ich um April, und sicher auch nicht zum letzten Mal.
    »Deborah hat sich ein halbes Jahr später von mir scheiden lassen.«
    »Sie hat dir die Schuld gegeben?«
    »Nicht für Aprils Zustand, nein.«
    Sie sagte nichts, legte nur den Kopf an meine Schulter und hielt mich fest. Ich schloss wieder die Augen. Ich sah April vor mir, wie sie im Brutkasten lag, die Augen weit offen, und mich direkt ansah. Deborah war an meiner Seite, ihre Hand auf demKasten; sie versuchte unser Kind zu berühren. Sie weinte und ich weinte auch. Ein Arzt war auch dabei. Er hat nicht geweint, aber es war ja auch nicht sein Baby.
    »Erzähl es mir, Jamie«, sagte Terry.
    »Ich kann nicht.«
    Sie verstummte wieder. Schließlich begann ich zu sprechen, es ihr zu erzählen. Von dem Gespräch zwischen Deborah und mir, das wir später in ihrem Krankenhauszimmer

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