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Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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Bäume mit dürren Ästen, die sich zu drehen und zu winden und zuzupacken schienen, als wir näher kamen. Ein kalter, dunkler Ort des Grauens. Die Bäume hatten weder Laub noch Knospen, und es gab kein Gras auf dem Waldboden, nurfeuchte, moderige, kohlschwarze Erde. Es war Nacht, aber ich hatte keine Probleme, Terry oder die Bäume zu sehen, denn über uns hing ein Vollmond an einem Himmel, der so klar war, dass ich sogar die Mondkrater erkennen konnte. Terry sah mich lächelnd an, ihre Zähne waren so weiß wie der Mond und scharf, so scharf wie die eines Wolfs. Langsam legte sie den Kopf in den Nacken, sodass ich ihre ganze Kehle sehen konnte, und ihr Pferdeschwanz hing nach hinten herunter, über den hochgestellten Kragen ihrer Jacke. Und dann hörte ich das Heulen. Zuerst dachte ich, es komme von fern, denn es war so leise, aber als es anschwoll und im Wald nachhallte, wurde offenbar, dass sie es war, die den Mond anheulte. Es war ein schrecklicher, klagender Laut, die Wehklage einer Wölfin, die über ein großes Unrecht heulte, das man ihr angetan hatte. Das Geheul ebbte ab und sie senkte das Kinn und sah mich wieder an. Sie deutete mit dem Zeigefinger auf ihre Kehle und bewegte ihn etwas hinab bis zu der Stelle, wo sich bei einem Mann der Adamsapfel befindet. Das Zeichen für
Durst
.
    Ich legte die Zeigefinger in Taillenhöhe zusammen und zeigte nach vorn, dann bewegte ich sie nach links, trennte sie und brachte sie wieder zusammen. Das Zeichen für
auch
. Ich hatte auch Durst. Ich wusste auch, dass es wichtig war, kein Wort zu sprechen. Was immer wir taten, es musste schweigend geschehen.
    Sie winkte mich hinter einen Baum und ich schlang die Arme um einen dicken Stamm mit rissiger Rinde und vielen Furchen voll würzigem, braunem Moos. Terry ging zu einem anderen knorrigen Baum, aber ich konnte sie klar erkennen. Es war nicht nur der Mondschein – irgendwas war mit meinen Augengeschehen, sodass ich tief im Wald klar sehen konnte, obwohl es weit nach Mitternacht war. Und ich wusste, wenn ich jetzt meine Zähne befühlen würde, wären sie lang und scharf wie ihre.
    Sie machte schnelle, stechende Bewegungen mit dem ausgestreckten Zeigefinger, dann zeigten beide Zeigefinger aufeinander und machten eine Reihe von rollenden Bewegungen.
Sie kommen
. Sie drückte den Zeigefinger auf die geschürzten Lippen.
Pst!
    Ich guckte böse. Das wusste ich doch! Für wie dumm hielt sie mich eigentlich?
    Ich hockte mich hin und wartete. Auch mein Hörvermögen war schärfer geworden. Es war, als könnte ich das leiseste Geräusch wahrnehmen, ganz gleich aus welcher Entfernung. Hoch über mir hörte ich den Flügelschlag einer Eule; etwa hundert Meter rechts von mir huschte ein Mäuschen über den Boden, und wenn ich mir Mühe gab, konnte ich sogar das das winzige Herzchen hören, wie es hundertmal pro Minute schlug. Ich hörte die Schritte von Männern in weiter Ferne. Drei Männer. Nein. Ich legte den Kopf auf eine Seite und konzentrierte mich auf das Geräusch. Zwei Männer und ein Kind. Ein Kleinkind, mit zögerlichen, tapsigen Schritten. Ich lauschte aufmerksam und merkte, dass die beiden Erwachsenen das Kind an je einem Arm hielten, denn ab und zu verschwanden die kleinen Schritte, als ob sie das Kind zwischen sich zum Spaß in die Luft schwangen. Ich hörte, wie ein Rock glatte Beine streifte, und wusste sicher, dass es drei Personen waren, ein Mann, eine Frau und ein Kind. In etwa einem Kilometer Entfernung. So weit weg, und dennoch wusste ich alles. Darum versuchteich nicht, aus dem Traum zu fliehen, obwohl ich wusste, dass ich schlief. Ich genoss das Gefühl der Macht.
    Terry sah sich nach mir um. Keine Gebärdensprache dieses Mal – sie zog nur eine Braue hoch.
Bist du bereit?
    Ich nickte.
    Sie bewegte sich so schnell, dass ich die Details nicht mitbekam; es war nur ein verschwommener schwarzer Fleck, wie ein Schatten, den ein im Wind flatternder Vorhang wirft. Ein Flackern. In einem Augenblick kauerte sie unten am Fuß eines Baums, im nächsten war sie mit ausgebreiteten Armen in der Luft und ihr Pferdeschwanz flatterte hinter ihr her. Ich stand auf und versuchte ihr zu folgen, wusste aber nicht recht, was ich tun sollte. Ich rannte, und dann verfing sich mein Fuß in irgendetwas, vielleicht in einer Baumwurzel, aber anstatt zu fallen, bewegte ich mich in der Luft, ein paar Meter über dem Boden. Dann streckte ich den Rücken und begann emporzusteigen, flog Kurven, Zweige streiften meine Arme, die Augen tränten

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