Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
vom Wind. Ich musste weder mit den Armen flattern oder Druck ausüben oder sonst was. Ich flog immer schneller und konnte offenbar die Richtung mit einer Kopfbewegung ändern. Terry war vor mir, sie drehte sich und lächelte und winkte mir, sie einzuholen. Ich flog schneller, ohne zu wissen, wieso ich das Tempo beschleunigte, aber ich tat es, und dann war ich an ihrer Seite und sie berührte mich sanft an der Schulter und beglückwünschte mich, was mir ein gutes Gefühl gab.
Wir flogen so hoch, dass wir die Baumwipfel streiften, und dann zeigte sie mit dem Finger, und ich sah die drei Gestalten in der Ferne, die nebeneinander auf einem schmalen Pfad gingen, der sich durch den Wald schlängelte. Terry leckte sichgrinsend die Lippen, dann stürzte sie sich hinab und ich folgte ihr. Der plötzliche Sinkflug ließ die Luft aus meiner Lunge entweichen und ich musste keuchen. Sie bemerkten uns erst, als wir unmittelbar über ihnen waren. Der Mann war Anfang fünfzig, ein starkes, wettergegerbtes Gesicht, dunkelbraune Augen, ein festes Kinn. Er trug eine dunkle Arbeitsjacke und verdreckte Jeans. Die Frau war ein paar Jahre jünger, aber immer noch hübsch, große blaue Augen, ein lachender Mund, das Haar unter einem bunten Schal verborgen. Sie trug einen dunkelgrünen Mantel über einem grün-weiß karierten Kleid. Das Mädchen war etwa vier oder fünf Jahre alt, lockiges blondes Haar, kichernd und die Eltern an den Armen ziehend, sie wollte hochgehoben werden.
Was als Nächstes passierte, kam als eine Reihe von einzelnen Bildern, wie Fotos, die mit einer Zeitrafferkamera geschossen wurden: Der Mann sah hoch, seine Augen schreckgeweitet; die linke Hand der Frau fuhr zu ihrem Mund, um ihren Schrei zu ersticken; Terry, die lachte; das weinende Kind; Terrys Hand, die sich mit gekrümmten Fingern ausstreckte; die aufgerissene Kehle des Mannes, aus der das Blut über die Schulter strömte; die Frau, die das Kind hochnehmen wollte; Terry, die lachte und sich im Fliegen herumwälzte, die andere Hand krümmend, um zuzuschlagen; das zu Boden stürzende Kind, das mit Armen und Beinen Halt suchte; der blutbesudelte Mantel der Frau, während sie in sich zusammensackte. Dann waren Terry und ich wieder hoch oben, die kalte Brise auf unseren Gesichtern, während wir über den Bäumen schwebten.
Wir kreisten, beobachteten das Mädchen, das neben seiner Mutter kniete, deren kalte Hand ergriff und sie an seine Wangedrückte, die Tränen vermischten sich mit dem Blut. Terry zeigte erst auf mich, dann auf das Mädchen. Ich war an der Reihe. Wir stürzten gemeinsam hinab, der Erdboden raste uns entgegen, und dann kam es wieder als eine Reihe separater Bilder: das Mädchen mit Blut auf der Wange; Terry, die lachte; die Augen des Mädchens offen und blau, tränenverschleiert; Terrys Zähne, scharf und weiß, die kleine Beißbewegungen machten; meine Hand, die sich zur Klaue formte; das Mädchen, das mit seinen kleinen Händchen den Angriff abzuwehren suchte; der Waldboden, der mir entgegen sprang. Dann drehte ich ab, weg von dem Mädchen und den beiden Leichen, und als Nächstes stand ich hinter ihnen, mit beiden Füßen fest auf dem Boden, meine immer noch zur Klaue geformte Hand schmerzte. Ich sah hoch. Terry wirbelte durch die Luft, die Augen hart und drohend, und sie schwebte hinab und landete neben dem Mädchen. Sie umschlang seine Taille und hob es hoch. Die Frau lag stöhnend am Boden, aber Terry beachtete sie nicht. Das Kind schrie auf und wehrte sich, aber Terry legte ihren Mund an sein Ohr und flüsterte etwas, und das Kind wurde still, als wäre es betäubt. Terry behielt mich im Blick, während sie mit dem Mädchen zu mir kam.
»Sie gehört dir, Jamie«, sagte sie, als sie näher kam.
»Nein«, sagte ich. »Ich will sie nicht.«
»Sie gehört dir«, wiederholte sie, nur dass sich jetzt ihr Gesicht veränderte. Sie war nicht mehr Terry; sie war blond, blond wie das Kind, und ihre Augen hatten dieselbe blaue Farbe. Es war nicht mehr Terry, sondern Deborah, die das Kind hielt, nur war es kein Kleinkind mehr, sondern ein Baby.
»Sie gehört dir«, sagte Deborah und hielt das Baby hoch. Eswar nicht mehr gesund und munter; es schrie wie am Spieß und seine untere Hälfte war so verkrüppelt und knorrig wie die Bäume im Wald um uns herum.
»Nein!«, schrie ich. »Nein! Nein!«
Deborahs Augen verengten sich, sie sprühten vor Hass.
»Du darfst das Kind nicht töten!«, kreischte sie.
»Ich will sie nicht töten«, rief ich
Weitere Kostenlose Bücher