Der Wettflug der Nationen
Händen. Immer wieder nahm er die Sonnenhöhe, wälzte astronomische Tabellen und zog ein Chronometer zu Rate, welches die Zeit von Greenwich auf die Zehntelsekunde genau hielt. Er rechnete, schrieb Ortsbestimmungen und Zeit nieder, ließ endlich zufrieden den Bleistift sinken.
„Es stimmt, Pender! Die Eagle macht wieder 1.200 Stundenkilometer. Der neue Lack hat geholfen.“
Pender nickte zustimmend. Er zog es in diesem Augenblick vor, seine Gedanken für sich zu behalten. Die Ansicht nämlich, daß es mit der Genauigkeit von Ortsbestimmungen, wenn man sie bei Tage macht und nur auf die Sonne angewiesen ist, bisweilen eine etwas unsichere Sache sein kann.
„1.200 Stundenkilometer“, wiederholte Kelly seine letzten Worte.
„Dann sind ja jetzt Ihre Sorgen überflüssig, Mr. Kelly“, pflichtete ihm Pender bei. „Wir sind die ersten im Rennen, und was an uns liegt, werden wir tun, um den Reading-Preis für die Reading-Werke nach Hause zu bringen. Schade, daß Harrow & Bradley keine telegrafischen Wetten annehmen. Die Kerle wollen immer gleich Bargeld sehen. Möchte sonst noch eine ordentliche Summe auf die Zeit von 34 Stunden setzen.“
Kelly lachte. Er hatte seine gute Laune wiedergefunden.
Schneller als sie es gedacht, verstrich die Zeit, und schon kam in der Feme die Insel Trinidad in Sicht. Ein kleines felsiges Eiland, ein verlorener Punkt in der unendlichen Weite des Weltmeeres.
In zehntausend Meter Höhe zog die Eagle darüber hin. Dort lag die Reservetankstelle der Reading-Werke. Doch sie brauchten die Tanks nicht nochmals zu füllen. Sie hatten ja in Porto Seguro sich den Bauch mit Sprit gefüllt Das mußte für den Ozeanflug zur afrikanischen Küste reichen.
Das Brausebad in Porto Seguro schien der Eagle gut bekommen zu sein. Kelly konnte freudig feststellen, daß die Eagle wieder mit der alten Geschwindigkeit durch den Äther stürmte.
Nun hatte der lange Ostflug über den Atlantik begonnen. Von einem wolkenlosen Himmel brannte die Morgensonnt mit tropischer Kraft herab.
Kelly saß selbst am Steuer. Hobby hatte noch einmal durch den Bordsender die letzte Position der Eagle gefunkt und sich dann zum Schlaf zurückgezogen. Pender überlegte es sich in der Mittelkabine des Flugzeuges gerade, ob er dem Beispiel folgen solle, als sein Blick auf die Tragfläche der Eagle fiel, die hier durch die Seitenfenster gut zu sehen war. Flecke bemerkte er da, eigentümliche, in Perlmutterglanz schimmernde Hecke, die sichtlich größer wurden, zusammenwuchsen und schließlich die ganze Oberfläche in wunderbarem Farbenspiel erglänzen ließen. Wie hypnotisiert starrte Pender auf die farbenprächtige Erscheinung. Immer glänzender, immer leuchtender irisierte es auf den Schwingen. Mit Gewalt riß er sich endlich zusammen. Narrten ihn seine Sinne oder war es Wirklichkeit, was seine Augen dort erblickten? Er schloß sie, er öffnete sie, das merkwürdige Bild blieb unverändert. Er lief zum Führerstand und berichtete Kelly, was er eben gesehen. Der schüttelte unwirsch den Kopf.
„Haben Sie Fieber, Pender? Lassen Sie mal Ihren Puls fühlen?“
Penders Puls ging mit hundert Schlägen, aber er wehrte sich energisch gegen Kellys Behauptung, krank oder betrunken zu sein.
„Der neue Lack sieht wie das feinste Perlmutter aus, sehen Sie sich's doch selbst an, Mr. Kelly!“
Widerwillig überließ ihm schließlich Kelly das Steuer und ging in den Mittelraum.
In der Tat bot die Eagle einen merkwürdigen Anblick. Durch irgendwelche äußeren chemischen oder sonstigen Einflüsse mußte der Lacküberzug des Flugzeuges eine Strukturveränderung erfahren haben.
Tief erblaßt kehrte Kelly in den Führerstand zurück. Heiser kamen die Worte aus seiner Kehle.
„Sie haben recht, Pender. Irgend etwas Unerklärliches, Unheimliches geht mit der Eagle vor. Wecken Sie Hobby! Nehmen Sie den Sextanten, und machen Sie Ortsaufnahmen. Wir müssen die Geschwindigkeit der Eagle dauernd kontrollieren.“
Während der nächsten Viertelstunde verlief der Flug ohne
Zwischenfall. Überraschend gut hielten sich die Triebwerke: das Machmeter zeigte über 1,1 Mach an, für sie in dieser Höhe also die Spitzengeschwindigkeit von 1.200 Kilometer.
Kelly saß im Mittelraum und konnte den Blick nicht von den opalisierenden Flächen abwenden. Hobby steuerte, und Pender machte andauernd Ortsbestimmungen, aus denen er die Geschwindigkeit errechnete. Bisher war sie noch auf der alten Höhe geblieben. Jetzt begann sie langsam, dann schneller
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