Der Wettlauf zum Suedpol
Paraffin für die Kocher, ausreichend für mehr als 200 Tage. Zwar waren acht Hunde verloren gegangen, doch noch immer blieben 85 ausgewachsene Tiere und 22 Welpen, genug für den Angriff auf den Pol im kommenden Frühjahr. Und noch einmal zogen die Männer los, um eine Tonne Seehundfleisch in das Depot am 80. Breitengrad zu schaffen. Wieder einmal zeigte die Eisbarriere ihnen ihre hässliche Seite. Sie kamen im Nebel vom Weg ab, gelangten in ein Gebiet mit zahlreichen abgrundtiefen Gletscherspalten und verloren dort erneut zwei Hunde. Das Markierungssystem Amundsens bewährte sich jedoch glänzend: Die Männer verfehlten das Depot zwar um anderthalb Meilen in westlicher Richtung, stießen jedoch auf eines der quer zur Strecke angebrachten Fähnchen und erreichten ihr Ziel ohne Schwierigkeiten. Am 11. April kehrte die Gruppe nach Framheim zurück, und zehn Tage später stieg die Sonne zum letzten Mal über den Horizont. Der Winter begann.
Abb 46
Letzter Vorposten der Zivilisation: Von »Framheim« aus sollte der norwegische Angriff auf den Pol starten.
Scott ist geschockt
Die Terra Nova war inzwischen mit Volldampf Richtung Westen gefahren, um Scott die Hiobsbotschaft von Amundsens Anwesenheit auf dem Schelfeis zu überbringen. Doch als sie am 8. Februar wieder im McMurdo-Sund eintraf, befand sich Scott mit seinen Männern noch auf der Depotreise. Kommandant Campbell setzte deshalb einen schriftlichen Bericht auf und hinterließ diesen bei der inzwischen bewohnbar gemachten alten Discovery -Hütte am Hut Point. Dann ließ er sich mit seiner Forschergruppe, die eigentlich in King Edward VII.-Land hätte an Land gehen sollen, in die Nähe von Borchgrevinks Landungspunkt bei Kap Adare bringen. Danach brach die Terra Nova mit dem Rest der Schiffsbesatzung auf, um in Neuseeland zu überwintern.
Scott bekam Campbells Schreiben erst am 22. Februar in die Hände, nachdem er von seinem Treck ins Safety Camp zurückkehrt war. Er war zutiefst erschüttert und reagierte mit einem heftigen Wutanfall – einer Gefühlsregung, die seine Männer bei diesem sonst so distinguiert auftretenden britischen Gentleman bis dahin nicht kennengelernt hatten. »Viele Stunden lang«, schrieb Cherry-Garrard in sein Tagebuch, »konnte Scott nichts anderes denken oder reden. Offensichtlich ist es ein ungeheurer Schock für ihn, er hält es für sehr unfair, denn unser Plan, auf King Edward VII.-Land zu landen, war bekannt.« Scott hatte einfach selbst weiter daran glauben wollen, dass Amundsen an irgendeiner anderen Ecke der Antarktis landen und mit dem Südpol vielleicht doch nichts im Sinn haben würde. Umso bitterer war jetzt die Erkenntnis, sich einem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt zu sehen, bei dem man selbst womöglich die schlechteren Karten besaß. Am liebsten wäre Scott jetzt schnurstracks zur Bay of Whales gezogen und hätte mit Amundsen Tacheles geredet, so Cherry-Garrard. Später hatte sich Scott so weit beruhigt, dass er in seinem Tagebuch die Lage nüchtern analysieren konnte: »Amundsens Vorgehen ist sehr überlegt, und nur der Erfolg kann ihn rechtfertigen. Man muss sein Verhalten nicht unbedingt verdammen, weil es nicht anständig ist, und ich werde mich auch auf keinen Fall dazu verführen lassen, öffentlich meine Meinung dazu zu sagen. Eines ist mir ganz klar: Richtig und klug ist, wenn wir uns verhalten, als wäre nichts geschehen. Wir müssen weitermachen und unser Bestes tun zur Ehre des Vaterlands, ohne Furcht und Panik. Zweifellos ist Amundsens Plan eine Bedrohung für uns. Er ist 60 Meilen näher am Pol – ich hätte niemals gedacht, dass man so viele Hunde heil ins Eis bekommt. Sein Prinzip, sie zu führen, scheint hervorragend. Und obendrein kann er früher im Jahr starten als wir – mit Ponys ist das ausgeschlossen.«
Abb 95
Der Schock über die Herausforderung durch die Norweger sitzt tief: Die britischen Expeditionsteilnehmer um Scott (vorne, Mitte) nach der Rückkehr von der Depottour.
Besonders schwierig war die Situation für Tryggve Gran, den norwegischen Abenteurer, der sich in Kristiania Scotts Expedition angeschlossen hatte. »Es war, als täte sich die Barriere unter mir auf, und tausend Gedanken auf einmal jagten mir durch den Kopf. Sollte ich gegen meine eigenen Landsleute und meine eigene Fahne antreten? Das war keine angenehme Vorstellung«, vertraute er seinem Tagebuch an. Doch nicht allein, dass er sich im Zwiespalt zwischen der Loyalität gegenüber Scott und seinem Vaterland befand:
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