Der Wettlauf zum Suedpol
Für Scott war er jetzt ein rotes Tuch. Immer wieder putzte ihn der Expeditionsleiter jetzt vor versammelter Mannschaft herunter.
Einer der meist haltlosen Vorwürfe lautete etwa, er lungere faul herum. »Ich habe das Gefühl, wenn ich den Mund aufmache, denkt Scott an Amundsen«, vertraute Gran daraufhin Wilson an. »Es kommt mir vor, als wäre ich der Schatten in Scotts Leben.« Wilson versuchte ihn zu beruhigen, Scott sei in einem fürchterlichen Zustand. Das sei aber ganz natürlich, denn insgeheim wisse er, dass Amundsen – wenn dieser nicht ausgesprochenes Pech habe – als Erster am Pol stehen werde.
Es war kennzeichnend für die fortdauernde innere Erregung Scotts, dass es ihm in den nächsten Tagen kaum gelang, einen klaren Gedanken zu fassen. Er ließ packen und fuhr der Ponygruppe entgegen, die noch immer nicht vom One Ton Depot zurückgekehrt war, verfehlte den Trupp jedoch und traf die völlig erschöpften Männer und ihre mehr toten als lebendigen Ponys am 28. Februar im Safety Camp an. Doch statt Mensch und Tier eine Ruhepause zu gönnen, ordnete er an, die Ponys sofort nach Hut Point zurückzubringen. Weary Willie starb noch in der Nacht an den Strapazen des Marschs, die übrigen vier Pferde gerieten mit ihren Führern auf dem weiter abschmelzenden Meereis bald in eine verzweifelte Lage.
Abb 96
Für Tryggve Gran, den Norweger in Scotts Team, begannen schwierige Zeiten.
Denn in der Nacht machten Cherry-Garrard und seine beiden Gefährten plötzlich die furchtbare Entdeckung, dass sie sich auf einer langsam Richtung offenes Meer treibenden Eisscholle befanden. Ein Pony war bereits verschwunden, und die Männer versuchten nun, die übrigen Tiere und ihre Schlitten von Scholle zu Scholle auf sicheres Gelände zu befördern – umgeben von einer ganzen Herde gefräßiger Killerwale. Doch bald mussten sie die Tiere aufgeben, wollten sie nicht selbst in äußerste Lebensgefahr geraten.
Hilflos konnten sie nur noch mit ansehen, wie die drei bemitleidenswerten Geschöpfe auf ihrer Eisscholle davontrieben. Am nächsten Morgen schöpften sie noch einmal Hoffnung, als sie die drei Tiere noch immer auf ihrer Scholle sahen, die jetzt an einer anderen Stelle hängen geblieben war. Doch es gelang ihnen nur noch, ein einziges Pony zu retten, die beiden anderen wurden mit der Spitzhacke getötet, damit sie nicht lebendigen Leibes von den Walen gefressen wurden.
Sieben der insgesamt noch 17 Ponys waren damit verloren – ein furchtbarer Schlag für Scotts Südpolpläne. »Wenn jemals Pech an den Fußsohlen eines Mannes klebte, dann sicher an denen unseres Führers«, vertraute Teddy Evans seinem Tagebuch an. Und auch Scott selbst schien jeden Mut verloren zu haben: »Natürlich werden wir in der nächsten Saison antreten, aber was den Pol angeht, habe ich wenig Hoffnung.« In den folgenden Tagen kämpften sich die Männer der Depotgruppe mit den Resten ihrer Ausrüstung am Rande der Eisbarriere zurück nach Hut Point und hatten nach fast sechs Wochen erstmals wieder ein festes Dach über dem Kopf. Doch die Stimmung in der alten Discovery -Hütte war schlecht. Die Behausung war in einem jämmerlichen Zustand, es tropfte andauernd durch das undichte Dach. Die Heizung bestand aus einem Ofen, der mit stinkendem Seehundtran beheizt wurde, dabei entsetzlich qualmte und die Hütte doch nicht zu wärmen vermochte. Zwar mussten die Männer nicht hungern – es fanden sich noch einige Kisten mit Keksen aus der Zeit der Discovery , aber mit dem Rest der Verpflegung sah es trübe aus. »Unsere Schlittenvorräte waren zu großen Teilen verbraucht, und wir hingen von den Robben ab, die wir töteten, um Nahrung, Brennstoff und Licht zu haben«, schrieb Cherry-Garrard bitter. »Wir waren schmutzig vom Tran, den wir verbrannten, und eine noch finsterere und verbrecherischer aussehende Mannschaft wäre schwerlich zu finden gewesen. Wir verbrachten unsere Tage damit, wann immer sich die Gelegenheit bot, Robben zu töten, sie zu zerlegen und zu transportieren, während wir abends endlos diskutierten, ohne dass wir uns freilich über irgendetwas einigen konnten. Einige schauten nach den Hunden, andere nach den Ponys; einige legten geologische Sammlungen an, andere skizzierten die wunderbaren Sonnenuntergänge; aber vor allem aßen und schliefen wir. Nach unserer sechswöchigen Schlittentour müssen wir wohl zwölf Stunden pro Tag in unseren Schlafsäcken gelegen haben. Und wir ruhten uns aus. Vielleicht ist das nicht jedermanns
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