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Der Wettlauf zum Suedpol

Der Wettlauf zum Suedpol

Titel: Der Wettlauf zum Suedpol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
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nicht mehr funktionierten. »Die Stimmung des Chefs ist auf dem Gefrierpunkt«, trug Bjaaland am fünften Tag in sein Tagebuch ein. »Er hat sich entschlossen, zum Lager zurückzukehren, und das ist gut so, sonst hätten wir uns zu Tode gefroren.« Doch zuvor wollte Amundsen unbedingt noch zum 80. Breitengrad gelangen und dort die mitgeführten Vorräte
abladen. Um nicht in den Zelten jämmerlich einzugehen, errichteten die Männer Iglus, so wie es Amundsen bei seiner Bewältigung der Nordwestpassage von den Inuit gelernt hatte. In den Schneebauten wurde es mithilfe des Kochers warm und gemütlich. Als allerdings der Chef, um mit einem Schnaps die Stimmung zu heben, eine Flasche Gin hervorholte, war sie durch die Kälte eingefroren, und das Glas zersprang beim Auftauen. Am Morgen gelang es kaum noch, die Hunde zum Laufen zu bewegen. Sie zitterten wie Espenlaub und hatten Frostbeulen an den Pfoten. Viele mussten ins Geschirr geradezu hineingehoben werden, andere kamen gar nicht mehr auf die Beine.
    Nach einer Woche bitterster Kälte wurde am 14. September endlich das Vorratslager erreicht. Ohne auf die sonst so penibel festgelegte Ordnung zu achten, deponierten die Männer ihr Gepäck im Schnee und machten sich umgehend wieder auf den Heimweg. Zwar sanken die Temperaturen nicht noch weiter, doch als hätten sich die Elemente gegen die Norweger verschworen, erhob sich ein scharfer Nordwestwind, der ihnen direkt ins Gesicht blies und starke Schmerzen verursachte. Nun erging es ihnen wie den Engländern ein halbes Jahr zuvor beim Rückweg vom One Ton Depot – jeder wünschte sich so schnell wie möglich nach Hause. Und wie damals Scott spielte jetzt auch Amundsen ein fragwürdiges Spiel. Am dritten Tag der Rückreise – es waren noch 75 Kilometer bis Framheim – ordnete er an, ohne Halt zum Camp zurückzufahren.
    Um sieben Uhr morgens begann die wilde Jagd, und natürlich reservierte sich der Chef den besten Schlitten. Mit Wisting und Hansen sauste er in so schneller Fahrt davon, dass sein Team für die schwächeren Gespanne bald »nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne« war, wie Bjaaland später berichtete. Während Amundsen und seine zwei Gefährten am Nachmittag dieses Tages im Lager eintrafen, kämpften die anderen um ihr Überleben – manche ohne Zelte, ohne Verpflegung, ohne Heizmaterial. Bjaaland, Stubberud und Hassel schafften es bis zum frühen Abend, doch von Johansen und Prestrud fehlte jede Spur. Vor allem Prestrud, der als Schiffsoffizier ohne jede Polarerfahrung in das Abenteuer Antarktis hineingestolpert war, wäre wohl in der Eiswüste erfroren, hätte sich Johansen nicht seiner angenommen. Er schleppte den mit erfrorenen Füßen und einem in Auflösung begriffenen Hundegespann nur noch dahintaumelnden Gefährten die letzten Kilometer nach Framheim,
wo die beiden kurz nach Mitternacht vollkommen erschöpft eintrafen – eine wahre Heldentat.
    Abb 125
    Kristian Prestrud wäre das Abenteuer Südpol beinahe zum Verhängnis geworden.
    Als Amundsen am nächsten Morgen beim Frühstück nach den Gründen für die Verspätung fragte, platzte Johansen der Kragen: »Dieses nenne ich keine Expedition, sondern Panikmache! Es ist unüblich, dass sich ein Leiter von seinen Leuten trennt«, schleuderte er seinem Chef ins Gesicht und steigerte sich schließlich in eine Schimpftirade über den gesamten Führungsstil Amundsens hinein. Der erkannte, dass nun die Gelegenheit gekommen war, das erforderliche Exempel an Johansen zu statuieren, und handelte eiskalt. Nachdem er sich die übrigen Expeditionsmitglieder in Einzelgesprächen vorgeknöpft hatte, teilte er Johansen am Mittagstisch vor versammelter Mannschaft kühl mit, dass er von der weiteren Teilnahme an der Südpolreise ausgeschlossen sei. Schriftlich reichte er nach, dass Johansen stattdessen an einer Expedition nach Osten ins Edward VII.-Land teilnehmen sollte – ausgerechnet unter Prestruds Kommando. »Der Leiter der Expedition beschließt, mich unter das Kommando eines Jüngeren zu stellen, der eine solche Aufgabe zum ersten Mal durchführt«, schrieb der tief enttäuschte Johansen zwei Tage später an Amundsen. »Es ist wohl einleuchtend, dass das für mich, der einen Teil seines Lebens im Eis zugebracht hat, demütigend sein muss.« Es war eine seelische Wunde, die nie mehr heilen sollte: Ein halbes Jahr nach der Rückkehr der Fram nach Norwegen würde sich Johansen in einem Hotel in Kristiania das Leben nehmen.
    Amundsens Autorität als Führer war

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