Der Wettlauf zum Suedpol
aufmunternden Satz von Leonard Darwin, dem Präsidenten der Royal Geographical Society, nach Hause zurückgekehrt: »Let the best man win.«
Der Wettlauf beginnt
Am 8. September 1911, kurz nach zwölf Uhr mittags, brachen am Rand der Großen Eisbarriere acht Norweger zur letzten großen Reise ins Unbekannte auf, die den Menschen auf der Erde noch verblieben war. Das Thermometer zeigte minus 37 Grad Celsius. Allein das unter anderem auch für das leibliche Wohl der Skandinavier zuständige Unikum Adolf Lindstrøm blieb in Framheim zurück und stand zum Abschied winkend an der Tür des tief verschneiten Lagers. Er betete, dass alles gutgehen möge. Bis zuletzt hatte Lindstrøm, der Patiencen legte und einen gesunden Aberglauben besaß, darum gebettelt, den Aufbruch zu verschieben, denn es war ein Freitag – bekanntermaßen ein Unglückstag für den Beginn einer Reise. Sahen die schwarz gestrichenen Proviantkisten nicht wie Särge aus? Doch Amundsen hatte sich nicht umstimmen lassen: Er wollte der Erste am Pol sein – um jeden Preis. So warteten jetzt die sieben Schlitten, vor die fächerförmig jeweils zwölf Hunde gespannt waren, auf das Zeichen zum Start. Mit den Treibern in ihrer dicken Fellkleidung wirkte der Zug wie eine Inuitsippe auf Wanderung. Nach dem langen Winter kläfften und tobten die Hunde und zerrten an den Gurten. Wenig später stoben sie mit den Schlitten in großen Sätzen davon und waren bald hinter den gewaltigen Schneewehen des Schelfeises verschwunden.
Die letzten Wochen des Wartens waren für Amundsen nahezu unerträglich geworden. Immer wieder spukten ihm die Motorschlitten der Engländer im Kopf herum. Auch er hatte vor seiner Reise Angebote von Erfindern solcher Gefährte erhalten, ein »Motorschlitten mit Wärmeöfchen« war darunter gewesen. Was, wenn Scott mit so einem Gefährt einfach über die Eisbarriere knattern könnte, ohne auf Wind und Wetter Rücksicht nehmen zu müssen? Schon am 23. August, einen Tag, bevor die Sonne wieder über Framheim aufgehen sollte, waren die fertig gepackten Schlitten aus dem Eiskeller gehievt und zum Abfahrtsplatz auf der anderen Seite der Bay of Whales gebracht worden – dorthin, wo die sorgsam mit Fähnchen markierte Strecke nach Süden begann.
Abb 121
»Framheim« war für die Norweger »Warenumschlagplatz« und Ausgangspunkt für ihren Angriff auf den Südpol.
Abb 122
Adolf Henrik Lindstrøm besaß neben seiner großen Erfahrung als »Polarkoch« auch eine gesunde Portion Aberglauben.
Abb 123
Letzte Handgriffe vor dem Aufbruch: Bjaaland, Prestrud und Wisting (von links) beim Verzurren von Lasten.
Abb 124
Hansen und Wisting in der Eiswerkstatt von Framheim, die nicht gerade wohlige Wärme ausstrahlt.
Seine Männer teilten Amundsens Meinung über den Zeitpunkt des Aufbruchs nicht. Unter diesen Bedingungen gehe die Fahrt verhängnisvoll aus, unkte Johansen in seinem Tagebuch. »Wir können nicht starten, solange die Temperatur so niedrig bleibt.« Denn trotz »Frühlings« auf dem Schelfeis lag die Temperatur noch immer beständig unter minus 40 Grad Celsius, an manchen Tagen auch unter minus 50 Grad. »Ein Glück, dass wir hier drinnen sind und nicht ein paar Meilen oberhalb auf der Barriere liegen, außerstande, einen Schritt weiter zu tun«, atmete Johansen auf. Jeden Morgen ging Amundsen vor die Hütte, doch er musste unverrichteter Dinge wieder in seine Schlafkoje zurückkehren. Dann trat in der ersten Septemberwoche der Umschwung ein – minus 29 Grad Celsius, sogar minus 22 Grad. Nun gab es für Amundsen kein Halten mehr: Es konnte losgehen.
Die ersten beiden Tage auf der Eisbarriere schienen seinem Optimismus recht zu geben. Nach der langen Zeit des Winters mit viel frischem Fleisch strotzten die Hunde geradezu vor Energie und hetzten ungebändigt drauflos, sodass manche Tiere sogar aus dem Geschirr genommen und als Bremser hinter den Schlitten gebunden werden mussten. Die Männer kamen gut voran und schafften geradezu spielend leicht 50 Kilometer. Doch dann kehrte die Kälte zurück: Über Nacht fiel die Temperatur um fast 30 Grad auf minus 56 Grad. Dennoch kämpften sie sich weiter vorwärts, obwohl jeder Meter zusehends schwerer fiel. Der Atem von Mensch und Tier gefror in der kalten Luft. Dichter weißer Dunst lag über den Hunden, sodass das eine Gespann nicht vom anderen zu unterscheiden war und die Treiber ihre Vorderleute nicht mehr sahen. Es wurde so kalt, dass sogar die Spiritusthermometer einfroren und die Kompasse
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