Der Wettlauf zum Suedpol
ihrer stürmischen Seite: Wind mit bis zu 80 Stundenkilometern zerrt an ihren Zelten. Es ist ein höllischer Lärm, es klappert und scheppert. Die Neuankömmlinge schlafen sehr unruhig, wachen mehrere Male auf – eine derartige Geräuschkulisse macht ihnen Angst. Sie haben das Gefühl, dass die Welt bald untergeht, dabei handelt es sich für Antarktisverhältnisse noch um ein vergleichsweise laues Lüftchen.
Am nächsten Tag muss der Anorak hochgeschlossen getragen werden. Vor allem aber darf nichts herumliegen: Eine Isomatte, ein Handschuh oder auch ein Zelt sind in der Antarktis in »Windeseile« endgültig verloren – schließlich gibt es nichts, woran sie hängen bleiben könnten, wenn sie fortgeweht werden, und Ersatz ist während des Rennens nicht zu beschaffen.
Nachdem sich die Elemente dann für ein paar Tage von ihrer freundlichen Seite gezeigt haben – so werden in der Sonne im Zelt sogar manchmal Plusgrade erreicht –, bekommen die Rennteilnehmer am Ende der Akklimatisierungsphase dann einen Eindruck davon, wie sich Scott und Amundsen hundert
Jahre zuvor gefühlt haben mussten, wenn ihnen Schneestürme wieder und wieder den Weitermarsch unmöglich machten.
Abb 118
Im Schneesturm zu marschieren ist nahezu unmöglich.
Am Himmel ziehen graue Wolken auf, starker Wind kommt auf, und die ersten Kristalle beginnen durch die Gegend zu wirbeln. Im Gegensatz zu anderen Gegenden auf der Welt ist ein Schneesturm in der Antarktis nicht mit Schneefall gleichzusetzen – die Antarktis ist die trockenste Wüste der Welt, es schneit hier seltener, als es in der Sahara regnet. Aber der bisweilen bis zu 300 Stundenkilometer schnelle Wind fährt unter Schnee- und Eiskristalle und fegt sie dermaßen durch die Luft, dass sie beim Aufprall auf menschliche Hautpartien ziemliche Schmerzen verursachen.
Bemerkenswerterweise gibt es auch stürmische Tage, die auf einem Foto aussehen wie jeder andere. Wenn der Schnee zu fest ist und nichts aufgewirbelt werden kann, ist der Wind natürlich nicht sichtbar: Keine Bäume biegen sich im Wind, keine Blätter fliegen umher. Nur wer selber in dem Getöse steht, weiß: Das hier ist ein Sturm, und was für einer!
Doch jetzt sind alle Schlitten im Nu zugeschneit – und die Teams dazu verdammt, in den Zelten auszuharren. Jeder Schritt ins Freie wird bei der eisigen Kälte zum Hasardspiel, bei dem schnell Erfrierungen drohen. Nur durch die dünne Zeltwand geschützt vor dem Orkan, der über das Eis fegt, sitzen die Wettläufer in ihrer engen Behausung. Alle erschauern bei der Vorstellung, dass gerade mal zwei oder drei Lagen Nylon und Fleecestoff sie von dem tobenden Inferno trennen – und dass sie ohne diese Spezialausrüstung schnell erfrieren würden. Die Teams kochen, präparieren, nähen, unterhalten sich und lernen sich in der Enge der Zelte näher kennen. 35 Stunden auf Standby – es ist schwierig, so lange so dicht aufeinanderzusitzen, aber alle sind guter Stimmung.
Währenddessen dringt der feine, trockene Schnee durch sämtliche Ritzen. »Der Schnee hier oben ist von einer so feinen Konsistenz – ein Zuckerbäcker würde sich freuen«, berichtet Markus Lanz per Satellitentelefon nach Deutschland. »Er kommt überall durch, das ist unglaublich. Jeden Reißverschluss durchdringt dieser ganz, ganz feine Schnee. Ich vermute, dass morgen früh hier im Zelt eine Menge Schnee liegen wird, draußen tobt ein unglaublicher Sturm, aber in diesem Zelt hier ist es irgendwie ganz gemütlich und schön.«
Mit dem Schnee im Zelt hält es sich dann zwar in erträglichen Grenzen, aber das Equipment unter dem Vorzelt und natürlich die Zeltwände sind am nächsten Morgen von einer dicken weißen Schicht bedeckt. Doch wer jetzt an die klamme Kleidung nach einem Aufenthalt im einem Schneegestöber unserer Breiten denkt, hat falsche Vorstellungen. Der Schnee in der Antarktis hat
einen so geringen Wassergehalt und ist derartig feinkörnig, dass er sich einfach abschütteln lässt. Was beim Wasserkochen so lästig ist, lässt wenigstens den Campabbau nach einem Schneesturm zu einer etwas angenehmeren Beschäftigung werden.
Abb 136
Sich ohne schützendes Zeltdach dem Sturm auszusetzen wäre der sichere Tod.
Obwohl der Wind noch heftiger als in den vorangegangenen Tagen blies und das Schneegestöber immer dichter wurde, brachen sie am Morgen des 26. November mit nur noch drei Schlitten auf in die weiße, unbekannte Weite. Die Männer konnten kaum die Hand vor Augen sehen, geschweige denn die
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