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Der Wettlauf zum Suedpol

Der Wettlauf zum Suedpol

Titel: Der Wettlauf zum Suedpol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
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hatten die Männer tatsächlich das Polarplateau erreicht.
    Erst vier Tage später jedoch, am 8. Dezember, ließ der Wind nach, das Schneetreiben hörte auf, und die Sonne brach durch. Es waren die passenden Begleitumstände, um einen Rekord zu feiern. Am Vortag hatten sie den 88. Breitengrad passiert, und Shackletons südlichster Punkt bei 88°23’ rückte in greifbare Nähe. Amundsen fungierte an diesem Tag als Vorläufer der kleinen Karawane. Plötzlich hörte er hinter sich einen Jubelschrei, und als er sich umdrehte, sah er die norwegische Fahne an Hansens Schlitten wehen. »Wir standen weiter südwärts, als je ein Mensch gewesen war. Kein einziger Augenblick auf der ganzen Fahrt hat mich so ergriffen wie dieser. Die Tränen traten mir in die Augen, ich konnte sie trotz Aufbietung aller meiner Kräfte nicht zurückhalten. Die flatternde Fahne dort war stärker als meine Willenskraft. … Gegenseitige Glückwünsche und warme Händedrucke wurden zwischen allen gewechselt; nun waren wir in treuem Zusammenhalten so weit gekommen, nun würden wir auch noch weiter – würden ganz hingelangen.«
    Immer häufiger geisterte nun Scott durch die Unterhaltungen der Männer. Die Nervosität nahm zu. Was würde man am Pol zu sehen bekommen? Nur eine endlose weiße Ebene? Oder doch etwas ganz anderes?
Sollten die Engländer womöglich doch vor ihnen da gewesen sein? »Nein, nein, das war eine Unmöglichkeit! Bei der Eile, mit der wir vorgerückt waren, mussten wir das Ziel zuerst erreichen, darüber konnte kein Zweifel herrschen«, schrieb Amundsen beschwörend. »Und doch – und doch! Wo sich nur die allerkleinste Öffnung zeigt, da schleicht sich der Zweifel ein und nagt, und nagt und lässt so einem armen Menschen keine Ruhe mehr.« Angestrengt blickten die Männer jetzt immer wieder über die gleißende Fläche nach Süden. Auch die Hunde wurden unruhig, schienen Witterung aufzunehmen, ihre Nasen in südliche Richtung zu drehen. Da rief Hassel plötzlich: »Seht ihr dahinten das Schwarze?« Alle Augen hefteten sich auf den Punkt in der Ferne. Einer fragte bang: »Ist das Scott?«
    Abb 135
    Die Norweger unterwegs in grandioser Umgebung – wer erreicht das Ziel als Erster?

Triumph und Tragödie
    Am Abend des 9. Dezember trat Robert Falcon Scott aus seinem Zelt am Fuß des Beardmore-Gletschers. Der Schatten des Mount Hope, des von Shackleton benannten »Hoffnungsbergs«, fiel auf sein Gesicht, als »Titus« Oates langsam auf ihn zuging. Beide schwiegen. Schließlich gesellte sich noch Wilson zu ihnen. »Nun«, sagte dieser in die Stille hinein, »ich beglückwünsche Sie, Titus.« – »Und ich danke Ihnen, Titus«, fügte Scott hinzu. Kurz zuvor hatte Oates die letzten fünf Ponys der britischen Antarktisexpedition erschossen. Und so wie Amundsen sich in sein Zelt verkroch, als bei der »Metzgerei« seine Schlittenhunde geopfert wurden, hatte auch Scott der »Tötung der Unschuldigen« nicht beiwohnen wollen. Also war es wieder an Oates, den Gnadenakt an den geschwächten Tieren zu vollziehen. »Die armen Tiere!«, schrieb Scott in sein Tagebuch. »Sie haben sich wunderbar gehalten, wenn man die schrecklichen Bedingungen betrachtet, unter denen sie gearbeitet haben. Es ist hart, dass wir sie so früh töten mussten.«
    Als am Morgen der Schneesturm nach vier langen Tagen endlich nachgelassen hatte, hatte man die Schlitten ausgegraben und versucht, die Ponys wieder anzuschirren. Doch die Tiere waren nur noch Schatten ihrer selbst. Seit Tagen hatten sie mit halben Rationen auskommen müssen, jetzt waren auch die letzten Futterreserven aufgebraucht. Bis zu den Bäuchen waren sie im weichen Schnee versunken und immer wieder vor Erschöpfung zusammengesackt. Nur mit Peitschenhieben und Schlägen war es schließlich gelungen, sie noch einmal vor die Schlitten zu spannen – eine Aufgabe, die den meisten Männern Gewissensbisse verursacht hatte. Es waren apokalyptische Bilder: »Hinter uns umringte eine konfuse Menge von Männern den führenden Ponyschlitten und schob ihn
voran, obschon das arme Tier kaum in der Lage war, aus den Löchern herauszukommen, in die es beim Vorwärtsstürzen hineingesunken war. Die anderen wurden dazu gebracht zu folgen«, erinnerte sich Cherry-Garrard, der vorausgelaufen war, um im tiefen Schnee eine Spur für die Tiere anzulegen. »Stunde um Stunde mühten wir uns ein bisschen voran. Wir wagten nicht einmal zum Mittagessen anzuhalten, denn wir wussten, dass wir nicht von Neuem würden beginnen

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