Der Wettlauf zum Suedpol
anderen Schlitten, der Untergrund war zäh wie Wüstensand, Schneewehen behinderten das Vorwärtskommen. Noch unangenehmer freilich war die Tatsache, dass sie nicht erkennen konnten, auf welchem Gelände sie sich eigentlich bewegten. Immerhin bemerkten sie, dass es wieder bergab ging – ein merkwürdiger Sachverhalt, glaubten sie sich doch auf der Hochebene des Polarplateaus angekommen. Aber die Sichtverhältnisse sollten sich für die nächsten zehn Tage nicht mehr ändern – »Nebel, Nebel – Nebel und wieder Nebel!«, beklagte sich Amundsen im Tagebuch. Nur ganz selten riss der Schleier für einige Augenblicke einmal auf, und sie sahen ostwärts von ihnen hohe Berggipfel, aber dann senkte sich der weiße Dunst wieder über die Landschaft. »Am besten wäre es gewesen, wenn wir hätten haltmachen, unser Zelt aufschlagen und helles Wetter hätten abwarten können«, so Amundsen. »Weiterzugehen, ohne zu wissen, wie das Gelände sich anließ, war nicht angenehm. Aber wie lange hätten wir wohl auf besseres Wetter zu warten? Vielleicht acht, ja sogar vierzehn Tage, und so viel Zeit hatten wir nicht zu versäumen. Da lieber hinein ins Unbekannte und annehmen, was kam.«
Damals konnten sie nicht wissen, dass sich das Transantarktische Gebirge, das sie wenige Tage zuvor erklommen hatten, an dieser Stelle von Nordwesten nach Südosten hinzieht. Auf ihrem Südkurs liefen sie deshalb zunächst noch parallel zu dem Höhenzug, der mit seinen zahlreichen Gletschern den Abfluss des antarktischen Eiskaps vom Hochplateau auf das Schelfeis bewirkt. Rasch wurde den Männern klar, dass sie sich wieder im Einzugsbereich eines solchen Gletschers befanden, denn die Anzahl der Spalten und Risse nahm zu. Bald merkten sie auch, dass sie es mit einem besonders großen und scheußlichen Exemplar zu tun hatten. Sie gerieten in einen derartigen Wirrwarr tiefer Abgründe und gähnender Schlünde, dass es ratsam schien, umgehend haltzumachen und nur nach genauester Erkundung der Umgebung weiterzugehen. »Es sah aus, als wäre hier eine Schlacht geschlagen worden, bei der mit gewaltigen Eisblöcken geschossen worden war«, beschrieb Amundsen die Szenerie kreuz
und quer übereinandergetürmter Eisplatten. Ein Durchkommen schien nahezu unmöglich. Entsprechend gaben die Männer dem monströsen Gebilde den Namen »Teufelsgletscher«.
Abb 134
Immer in Gefahr, in einer seiner Spalten zu verschwinden: Der »Teufelsgletscher« verlangte den Norwegern alles ab.
Mühsam suchten sie sich in den nächsten Tagen einen Weg durch das Chaos. Unglücklicherweise hatten sie in der Annahme, dass das Schlimmste überstanden sei, ihre Steigeisen bei der »Metzgerei« zurückgelassen. Nun schlitterten sie über das blanke Eis in ständiger Furcht, im nächsten Moment in einer der gewaltigen Spalten zu verschwinden. Amundsen war außer sich: »Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Der Pol vielleicht verloren wegen eines so idiotischen Fehlers?« Zentimeter für Zentimeter tasteten sie sich voran und hatten Glück, nicht abzurutschen. Doch kaum war diese Gefahr überstanden, da gerieten sie am nächsten Tag in einen derart heftigen Schneesturm, dass Bjaaland diesen 2. Dezember mit »Namenstag des Teufels« titulierte. Die Bodenverhältnisse wechselten zwischen vollkommen vereisten Flächen und
Schneewehen, die klebten »wie Fischleim«, so Amundsen. »Wenn nun die Schlitten über diese Schneewehen hinübermussten, konnten die armen Hunde, die dann schon auf dem Glatteis waren und mit ihren Krallen keinen Halt bekamen, trotz allem guten Willen die Schlitten nicht hinüberziehen. « Nur mit den vereinten Kräften von Menschen und Tieren ging es voran – in der dünnen Höhenluft des Eiskaps eine Tortur.
Noch immer besserte sich das Wetter nicht. Schneesturm folgte auf Schneesturm, und als eine letzte Prüfung wartete noch eine besondere Herausforderung auf die Männer – der »Tanzsaal des Teufels«. Es war eine unheimliche Eisformation, die aus mehreren gefrorenen Bodenschichten bestand: Brach man – was den Männern häufig passierte – durch die dünne obere Schicht, so folgte etwa einen Meter darunter die nächste, die ihrerseits wieder zahlreiche Abgründe aufwies. »Der leere Raum zwischen den beiden Schichten machte, dass der Boden beim Darüberwegschreiten unter unseren Füßen einen unheimlich hohlen Ton von sich gab«, beschrieb Amundsen das Gebilde. Diese schaurige Geräuschkulisse war jedoch der letzte Gruß des Teufelsgletschers; nun
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