Der Wettlauf zum Suedpol
Wänden und Zeltstangen; auf dem Boden bildeten sich große Lachen. Die Männer lagen in ihren durchnässten Schlafsäcken, die sich vollgesogen hatten wie Schwämme. Von Zeit zu Zeit kämpften sie sich nach draußen und gruben die bedauernswerten Ponys wieder aus. Weil wegen der Verzögerung die Nahrungsmittel knapp wurden, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre »Gipfelrationen« anzubrechen, die eigentlich erst für die Zeit nach dem Gletscheraufstieg vorgesehen waren. Erstmals rächte es sich, dass Scott so gut wie keine Sicherheitsreserven eingerechnet hatte, während Amundsen stets äußerst großzügig plante.
Scott lief die Zeit davon. »Nichts kann so erbittern wie diese erzwungene Untätigkeit, wo jede Stunde von so ungeheurer Wichtigkeit ist! Ein
schreckliches Los, immer nur die Wasserflecken an den grünen Zeltwänden, die glitzernd nassen Bambusstangen, die schmutzigen, klatschnassen Socken und was sonst, von Wasser durchweicht, von der Decke herabbaumelt, anstieren – ewig das Trommeln des herabfallenden Schnees und das Klatschen des aufgeblähten Zelttuches hören – die klebrig-feuchten Kleidungsstücke fühlen zu müssen, und dabei zu wissen, dass draußen rechts und links und vorne und hinten eine weiße, farblose Mauer uns entgegenstarrt! Und dann das niederschmetternde Gefühl, dass mein ganzer Plan misslingt – misslingen muss!« Wieder einmal haderte Scott mit seinem Schicksal: »Es ist mehr als Pech! Keine Voraussicht – keine Überlegung – keine Erfahrung – nichts hätte uns auf so etwas vorbereiten können! … Mich durchschauert eine Hoffnungslosigkeit, der ich mich kaum noch erwehren kann.« In ihm nagte die Ungewissheit: Handelte es sich bei diesen so widrigen Bedingungen um großflächige Wetterturbulenzen, oder war er nur das Opfer außergewöhnlicher Witterungsumstände vor Ort? In seinen Träumen sah er die Norweger »lächelnd im Sonnenschein voranschreiten«. Und hatte nicht Shackleton zu dieser Zeit des Jahres beste klimatische Voraussetzungen vorgefunden? »Ich werde so bitter, wenn ich unser Wetter mit dem unserer Vorgänger vergleiche«, fasste er seine Niedergeschlagenheit in Worte.
Zahlreiche, vor allem britische Autoren sind Scott in seinen Einschätzungen gefolgt. Die Witterungsbedingungen in dieser Phase der Expedition seien in der Tat außerordentlich schlecht gewesen, lautete die einhellige Meinung. Scott sei mit Gegebenheiten konfrontiert worden, »die er niemals vorhergesehen und die er nicht für möglich gehalten hätte«, meint beispielsweise Diana Preston. Roland Huntford, der anhand der Tagebücher von Shackleton, Scott und Amundsen die Gut- und Schlechtwettertage der jeweiligen Expeditionen überprüft hat, kommt freilich zu anderen Ergebnissen: Von 34 Tagen habe Scott bis dahin 19 mit gutem Wetter zu verzeichnen gehabt, genauso viele wie Amundsen zum vergleichbaren Zeitpunkt. Shackleton dagegen habe nach 34 Tagen nur auf 17 Gutwettertage zurückblicken können – also sogar zwei weniger als Scott. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Wettereinschätzungen immer subjektiv sind, ist die Behauptung, dass vor allem das außergewöhnlich schlechte Wetter schuld an den mannigfaltigen Schwierigkeiten von Scotts Expedition gewesen sei, wohl eine Legende.
Der Weg durch den Teufelsgletscher
Als Amundsen mit seinen Männern nach zwei Tagen, in denen sie laut Bjaaland »wundervolle Mahlzeiten von unseren guten, alten Grönländern« genossen hatten (»sie schmeckten ausgezeichnet, vielleicht ein wenig zäh«), vom »Metzgerei«-Lager aufbrechen wollte, hielt auch sie ein Schneesturm im Zelt gefangen. Noch war das kein Anlass zur Besorgnis, doch als sich auch nach weiteren zwei Tagen keine Änderung abzeichnete, wurde Amundsen unruhig. In seiner späteren Beschreibung der Eroberung des Südpols stellte er es so dar, als hätten seine Männer geradezu darum gebettelt, wieder aufzubrechen: »Sollten wir vielleicht einen Versuch machen, weiterzukommen?, meinte einer. Kaum war der Vorschlag gemacht, so war er auch unter Jubel einstimmig angenommen.« Tatsächlich handelte es sich wohl um den einsamen Entschluss eines Mannes, der sich nicht so kurz vor dem großen Ziel von einem Schneesturm bremsen lassen wollte.
Abb 105
Nur noch zur Hälfte sichtbar: Eines der norwegischen Zelte nach einem Schneesturm.
Ein Schneesturm in der Antaktis
Schon in der zweiten Nacht nach ihrer Ankunft erleben Hermann Maier, Markus Lanz und ihre Teams die Antarktis erstmals von
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