Der Wettlauf zum Suedpol
fand und man sich morgens um sechs Uhr abermals mit der Sonne auf derselben Höhe schlafen legte«, so Amundsen. Erste Messungen ergaben, dass das norwegische Lager einige Meilen vom Pol entfernt lag, noch aber war die genaue Richtung unbekannt. Amundsen schickte deshalb am frühen Morgen des 16. Dezember drei Männer auf Skiern los, die im Umkreis von knapp 20 Kilometern quer zur Ankunftsroute und in deren Fortsetzung gewissermaßen schon einmal das Terrain markieren sollten, innerhalb dessen sich der Pol in jedem Fall befinden musste. Gleichzeitig hielten sie nach Lebenszeichen der britischen Expedition Ausschau, doch wie Bjaaland befriedigt bemerkte, gab es »nirgends eine englische Flagge zu sehen«. Die Aktion war nicht ungefährlich, da die Skiläufer keinen der schweren Schlittenkompasse mitnehmen konnten und darauf angewiesen waren, in ihren eigenen Spuren zum Lagerplatz zurückzufinden. Bei einem Wetterumschwung wären sie in großer Gefahr gewesen, doch alles ging gut.
Abb 171
»Leb wohl, Polheim!« Das Zelt mit Flagge und Fram -Wimpel, von dem sich die Polbezwinger am 17. Dezember 1911 feierlich verabschieden.
Inzwischen hatten Amundsen und Hansen ihre Messungen fortgesetzt und dabei festgestellt, dass man noch etwa zehn Kilometer vom eigentlichen Polpunkt entfernt war. Am Morgen des 17. Dezember brachen die Männer erneut auf. An der Spitze lief Skichampion Olav Bjaaland, der seinen Schlitten zurücklassen und nun endlich den ungeliebten Job als Hundeführer aufgeben durfte. Amundsen hatte ihm die ehrenvolle Aufgabe überlassen, zum eigentlichen Polpunkt voranzugehen – »als Zeichen meiner Dankbarkeit gegen die mutigen Leute daheim in Telemark, die auf dem Gebiet des Skilaufs so viel leisten«, wie er bemerkte. Am späten Vormittag war die bezeichnete Stelle erreicht, die »Polheim« genannt wurde. Wieder wurden einen ganzen Tag lang im stündlichen Rhythmus Messungen vorgenommen, ehe man ausreichende Sicherheit hatte.
Nach dem Mittagsmahl erwies sich einmal mehr Bjaaland als Mann der großen Geste: Er hielt eine Tischrede und fischte danach ein Zigarrenetui aus seinem Gepäck, klappte es auf und reichte den Inhalt herum. Als sich alle bedient hatten, blieben drei Zigarren übrig – und jeder wusste, für
wen sie bestimmt waren: eine für Prestrud, eine für Johansen, eine für Stubberud. Allein Bjaaland hatte den Mut zu einer solchen Spitze, doch an diesem Tag war niemandem nach Streit zumute. Bjaaland sprach noch einige humorvolle Worte und schenkte seinem Chef zu guter Letzt das Etui »zur Erinnerung an den Pol«.
Nun wurden die Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Die Männer stellten ein Ersatzzelt auf und befestigten an der Zeltstange einen etwa vier Meter langen Bambusstab, an dessen Spitze eine kleine norwegische Fahne und ein Wimpel der Fram gebunden wurden. Im Zelt selbst hinterließen sie einige überflüssig gewordene Ausrüstungsgegenstände und zwei Briefe – einen an den norwegischen König Haakon VII. und einen an Scott. »Der Weg nach Hause war weit, und vieles konnte uns zustoßen, was uns möglicherweise verhindern könnte, selbst von unserer Fahrt zu berichten«, so Amundsen, und Scott würde vermutlich der Erste sein, der das Zelt der Norweger fände. »Nachdem wir mit allem fertig waren, verließen wir das Zelt, schnürten die Tür fest zu, damit der Wind nicht hineinfahren konnte, und dann: Leb wohl, Polheim! Das war ein feierlicher Augenblick, als wir unsere Häupter entblößten und von unserem Heim und unserer Flagge Abschied nahmen. Alsdann wurde unser Reisezelt abgeschlagen und die Schlitten gepackt. Jetzt sollte die Heimreise ihren Anfang nehmen – heim, heim, Schritt für Schritt, Meile für Meile. … Wir fuhren gleich in unseren alten Spuren und folgten diesen unentwegt. Oft, oft wendeten wir den Blick zurück, um Polheim noch einen letzten Gruß zu senden. Dann kam die dampfartige weiße Luft wieder dahergezogen, und es dauerte nicht lange, bis das letzte Zeichen von Polheim – die kleine Flagge – aus unserem Gesichtskreis verschwunden war.« Vor der Abreise hatte Amundsen zu Hansen gesagt, Scott werde vielleicht schon am nächsten oder übernächsten Tag eintreffen. »So wie ich die Engländer kenne, geben sie nicht auf, was sie einmal begonnen haben.«
Weihnachten am Beardmore-Gletscher
Mit dieser Vermutung sollte der Norweger recht behalten – mit dem Datum freilich nicht. Scott und seine nur noch sieben Gefährten waren noch immer damit beschäftigt,
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