Der Wettlauf zum Suedpol
Sonne von vorne kommt, alle Körperteile ausreichend geschützt? Hat sich irgendwo, zum Beispiel in den Schuhen, Schweiß gesammelt, der jetzt zu Eis gefroren ist und damit schleichend zu Erfrierungen führen kann? Es ist so verführerisch, vor Schwäche einfach mal »Passt schon!« zu sagen, kann aber schnell fatal enden.
Abb 164
Selbst der bärenstarke Hermann Maier spürt die Strapazen.
Sie alle wissen, dass sie Raubbau mit ihrem Körper betreiben. Wie zu Zeiten von Amundsen und Scott kann der menschliche Organismus selbst mit der heutigen energiereichen Nahrung nicht so viele Kalorien am Tag aufnehmen, wie er durch die Anstrengungen des Marschs verliert. Er baut das im Gewebe eingelagerte Fett ab, um die benötigte Energie für die Muskeln bereitzustellen. Ein tödlicher Kreislauf beginnt: Mit der fehlenden Fettschicht geht der Kälteschutz des Körpers verloren, und die Muskeln benötigen wiederum mehr Energie, um zusätzliche Wärme zu erzeugen. Am Südpol angekommen, werden die Rennteilnehmer bis zu zehn Kilo abgenommen haben.
»Die Kälte kriecht langsam den Zelteingang herein, den Zeltboden entlang, in die Schuhe hinein. Dann kriecht es dir in die innerste Schicht, und irgendwann merkst du, das Eis ist wirklich überall, diese Landschaft macht dich zu einem Teil von ihr«, beschreibt Markus Lanz die extremen Bedingungen in der Antarktis. »Je näher du zum Pol kommst, desto kälter wird es – Kilometer für Kilometer. Du merkst es erst gar nicht, denn es geht so ganz, ganz langsam, denn diese Landschaft hat etwas, was wir nicht haben: Unendlich viel Zeit, hier ist alles stehen geblieben, hier ist alles wie vor hundert Jahren. Die Sonne scheint, und du denkst, es ist doch alles ganz schön, aber es ist unglaublich hart. Und es ist kein Zufall, dass es nicht einmal die widerstandsfähigsten Lebewesen, die es auf diesem Planeten gibt, die Bakterien, in diesem Boden aushalten, hier ist nichts. Das muss man sich immer klarmachen.«
Abb 162
Sastrugi, Schneeverwehungen, machen den Wettläufern zu schaffen.
Abb 160
Körperlicher Ausnahmezustand: Das deutsche Team auf dem Marsch.
Auf den letzten Kilometern des Rennens trifft es die Wettkämpfer dann noch einmal hart: Whiteout! Dichter Nebel und Wind machen jede Orientierung unmöglich: Alles ist weiß. Wo ist der Boden, wo ist der Horizont, wo ist oben und wo unten? Allen ist schwindlig, sie haben das Gefühl, seekrank zu sein. Als es wieder aufklart, haben einige Wettläufer in der schneeglitzernden Weite Halluzinationen: Claudia Beitsch erblickt Häuser, die sie aus ihrer Heimat kennt. Markus Lanz geht es ähnlich: Er sieht Vögel, wo keine sein können. Der Marsch zum Südpol ist nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Ausnahmesituation.
Obwohl die Männer an diesem Abend endlich einmal wieder satt und zufrieden in ihre Schlafsäcke krochen, waren doch viele Symptome von Mangelerkrankungen unübersehbar. Die üblicherweise ausgegebene tägliche Ration aus 455 Gramm Zwieback, 340 Gramm Pemmikan, 57 Gramm Butter, 85 Gramm Zucker, 16 Gramm Kakao und 20 Gramm Tee bot keinen Schutz gegen Skorbut und lieferte außerdem viel zu wenig Kalorien für die Schwerstarbeit des Schlittenziehens. »Wir alle werden sichtlich dünner«, stellte Bowers beunruhigt fest. Auch der Flüssigkeitshaushalt der Männer war nicht in Ordnung. Weil Brennmaterial knapp war, konnte kein Eis in ausreichender Menge geschmolzen werden. Stattdessen steckten sich die Männer dann und wann eine Handvoll Schnee in den Mund – viel zu wenig, um in der dünnen Höhenluft der Gefahr des Austrocknens zu entgehen. Die unausgewogene Ernährung hatte aber nicht nur körperliche Erschöpfung und eine immer weiter zunehmende Kälteempfindlichkeit zur Folge, sondern wirkte sich auch in einer andauernden Niedergeschlagenheit und allgemein depressiven Stimmung aus.
Ein Teil von Scotts Launenhaftigkeit lässt sich wohl aus diesem Krankheitsbild erklären. Wie schon zuvor reagierte er sich vor allem an Teddy Evans und dessen Team ab, das in seinen Augen noch immer zu wenig leistete – »dabei habe ich ihnen deutlich genug gesagt, dass ihnen große Anstrengungen abverlangt werden, mit denen sie ohne fremde Hilfe fertigwerden müssen«. Am 28. Dezember machte er die Probe aufs Exempel und ließ sich mit vor Evans Schlitten spannen. Tatsächlich musste er feststellen, dass dieser bedeutend schwerer zu ziehen war als sein eigener, doch er tat dies mit dem Hinweis darauf ab, dass der
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