Der Wettlauf zum Suedpol
ihre schweren Schlitten mit zwölf Wochenrationen Lebensmittel- und Brennstoffvorräten den Beardmore-Gletscher hinaufzuziehen. Noch einmal forcierte Scott das Marschtempo. Am 22. Dezember schafften die Männer elf, in den nächsten Tagen zwischen 14 und 15 Meilen. Das reichte nahe an Amundsens tägliches Pensum heran, doch wurden die Leistungen der Briten um den Preis der Auszehrung der Teammitglieder erreicht. Ruhetage und geregelte Marschzeiten von fünf bis sechs Stunden gab es bei Scott nicht – die Männer mussten mindestens neun Stunden schuften, um ihr Tagessoll zu erfüllen. Selbst an den Weihnachtstagen kannte er kein Erbarmen. »Zum Ende des Nachmittags drehte Scott noch einmal mächtig auf und peitschte uns weiter und weiter«, erinnerte sich Bowers an den 25. Dezember. »Schließlich blieb er stehen und wir rechneten aus, dass wir 14¾ Meilen marschiert waren. Er sagte: Was haltet ihr von 15 Meilen, weil Weihnachten ist?, und wir machten bereitwillig weiter – irgendein Ziel ist immer noch besser als dieses vage Dahinschleppen.«
Am Vormittag hatte es beinahe eine Katastrophe gegeben, als das Team von Teddy Evans und Bowers in ein Gebiet mit Gletscherspalten geriet und Lashly plötzlich in einer tiefen Spalte verschwand. Den anderen Männern gelang es, sich zu retten und den Schlitten zu stabilisieren, doch Lashly baumelte am Ende seines Zugseils in dem Eisloch. »Das war natürlich kein besonders schönes Gefühl am ersten Weihnachtstag, der zugleich auch mein Geburtstag war«, berichtete Lashly, der an diesem Tag 44 Jahre alt wurde. »Es kam mir vor, als wäre unendlich viel Zeit vergangen, ehe ich das Seil neben mir herunterkommen sah, mit einem Bügel darin, wo ich meinen Fuß hineinstellen und mich herausziehen lassen sollte. Es war nichts, was ich gerne noch einmal durchmachen möchte, denn in der Gletscherspalte war ich ausgekühlt und hatte mir Frostbeulen an den Händen und im Gesicht zugezogen, die es mir schwer machten, mir selbst zu helfen.« Den anderen drei Teammitgliedern gelang es, Lashly langsam aus der Spalte herauszuziehen. Danach wünschte Crean seinem Mitstreiter, dass er noch viele ähnlich schöne Geburtstage erleben möge, was dieser mit einem derben Fluch beantwortete, und alle lachten. Doch die Fröhlichkeit verging ihnen, als sie bemerkten, dass Scotts Team noch nicht einmal angehalten hatte, um den Kameraden zu helfen. Erst beim Mittagslager erkundigte Scott sich beiläufig, ob mit Lashly alles in Ordnung sei und er weitermachen könne, was dieser natürlich schlecht verneinen konnte.
Abb 151
Die prachtvolle Szenerie am Beardmore-Gletscher animiert den künstlerisch begabten Edward Wilson, sie auf seinem Skizzenblock festzuhalten.
Abb 152
Eine bitter nötige Ruhepause: Das Ziehen der vollgepackten Schlitten ließ für die Briten bald jeden Schritt zur Qual werden.
Weihnachten in der Antarktis
Es ist eigentlich ein Tag wie jeder andere: Camp abbauen, losgehen, Camp aufbauen. Doch in den Köpfen sieht es anders aus: Am Heiligen Abend sind die Gedanken der Rennläufer bei ihren Lieben in der Heimat. Weihnachten im ewigen Eis – ein echtes Kontrastprogramm zur gewohnten Festidylle im Kreise der Familie. Es ist eine merkwürdige Situation. Nur das Datum auf den Uhren sagt den Rennteams, dass es der 24. Dezember ist. Während man sich in der Heimat vor weihnachtlichen Bezügen kaum verstecken kann, gibt es hier keinen einzigen: Weder wird es gemütlich dunkel, noch flackern irgendwo festliche Beleuchtungen, es gibt keinen Einkaufsstress und kein Kirchenläuten. Wann man im Laufe des Tages »Frohe Weihnachten« zueinander sagt, ist ebenso frei wählbar – zu irgendeiner Zeitzone auf der Welt wird es schon passen. Doch die Racer müssen nicht komplett auf weihnachtliche Gefühle verzichten: Als die Filmcrew an diesem Tag die Teams besucht, bringt sie ein Telefon und Nachrichten von zu Hause mit. Vor dem Rennen hat die Expeditionsleitung die Familien kontaktiert und um kleine Überraschungen gebeten, die den Wettläufern jetzt ausgehändigt werden. Es sind kurze E-Mails oder Bilder, welche die Familien der Rennleitung geschickt haben und die sie für die Rennteams und auch die Filmcrew ausgedruckt und mitgenommen haben
Die Nachrichten freuen und rühren Lanz, Maier und Co. Der Anruf zu Hause sorgt auch hier und da für feuchte Augen: Die Vorstellung, fernab der Strapazen in warmen, weihnachtlichen geschmückten Zimmern zu sitzen, ist verführerisch – und doch
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