Der Wettlauf zum Suedpol
verhüllt.«
Kampf auf Leben und Tod
Wie die letzten Überlebenden einer verlorenen Schlacht schleppten sich die fünf Briten nach ihrem Abschied vom Pol nordwärts. Sie folgten den Spuren ihres Hinwegs und erreichten schließlich nach einigen Meilen wieder die verhängnisvolle schwarze Flagge der Norweger, die ihnen drei Tage zuvor die Niederlage angezeigt hatte. Sie nahmen die Fahnenstange an sich, um sie als Mast für ein Segel zu nutzen, denn auch sie hatten nun den beständig aus Süd oder Südwest wehenden Wind im Rücken. Doch anders als bei Amundsen war die Luftbewegung mit einem bald feinen, bald dichteren Schneegestöber verbunden, das den Untergrund einmal mehr stumpf und schwer machte. Dennoch kamen sie zunächst mit einem auf dem Schlitten gesetzten Segel gut voran. »Wir hissten das Segel und legten vor dem Mittagessen in flotter Fahrt 8¾ Meilen zurück«, notierte Bowers am 23. Januar. »Am Nachmittag war der Wind sogar noch stärker, und ich musste auf den Schlitten steigen und als Führer und Bremser fungieren. Wir mussten das Segel tiefer setzen, doch selbst dann flog der Schlitten dahin wie ein Vogel.« Es war eine bitterböse Ironie der Geschichte, dass sie sich mit der passenden Ausrüstung vom Wind in geradezu rasantem Tempo nach Norden hätten tragen lassen können. Doch für fünf Mann war ein Schlitten viel zu klein; und um dem flott dahingleitenden Gefährt ebenso zügig auf Skiern folgen zu können, dazu fehlte den Männern die Übung.
Da die Rationen mehr als knapp bemessen waren, kam nun alles darauf an, dass sie ihre in den Weiten der Eiswüste angelegten Depots auf Anhieb fanden. »Wir sind hundertprozentig auf unsere Depots angewiesen, um lebend wieder vom Plateau herunterzukommen«, notierte Bowers, »und deshalb begrüßen wir die einsamen kleinen Schneewarten jedes Mal mit Freuden.« Doch bald mussten sie feststellen, dass die zumeist während der Rastpausen errichteten Warten viel zu niedrig gebaut
waren und zu weit auseinanderlagen, als dass sie im Schneegestöber als sichere Orientierung hätten dienen können. Auch die eigenen Fuß- und Schlittenspuren vom Hinweg waren oft genug zugeweht, sodass die Männer eine Menge Zeit mit der Suche nach dem richtigen Weg vergeudeten. Der Rückmarsch in den alten Spuren war aber auch deshalb mühsam, weil sie auf dem Hinweg oft Schneewehen oder anderen Hindernissen ausgewichen waren, die inzwischen längst weggeweht waren. So liefen sie jetzt oftmals unnötigerweise im Zickzackkurs über die Ebene. Die Depots selbst waren nicht annähernd so gut markiert wie die norwegischen – ihre Kennzeichnung bestand aus einer einzigen, auf die Spitze der Schneepyramide gesteckten roten Flagge. Hatten die Männer die Lager glücklich entdeckt, so begann die mühsame Arbeit, die Vorräte mit eiskalten Händen auszugraben und auf dem Schlitten zu verstauen.
Abb 198
Mühseliger Rückmarsch auf längst verwehten Spuren: Die Briten waren unbedingt darauf angewiesen, ihre Depots in der vorher berechneten Zeit zu finden.
Die Kälte setzte ihnen allen immer mehr zu. Obwohl ihnen der eisige Wind jetzt nicht mehr ins Gesicht blies wie noch auf dem Hinweg, verschlimmerten sich die Erfrierungen der Männer zusehends. Vor allem
mit Oates und Evans ging es dramatisch bergab. »Zweifellos ist Evans ziemlich fertig – seine Finger sind mit Blasen übersät, und seine Nase ist voller Frostbeulen«, schrieb Scott am Abend des 23. Januar ins Tagebuch. »Er hadert mit sich, was kein gutes Zeichen ist. Ich glaube, Wilson, Bowers und ich selbst sind so fit, wie die Umstände es erlauben. Oates bekommt kalte Füße.« Vor allem der stetige körperliche Verfall des hünenhaften Evans bereitete Scott Sorge, hatte er dessen bärenstarke Kräfte doch stets für unerschöpflich gehalten. »Zu meiner Überraschung scheint er den Mut zu verlieren – worüber ich sehr enttäuscht bin«, hieß es eine Woche später. Doch für Evans war am Pol eine Welt zusammengebrochen. Für den einzigen verbliebenen Angehörigen der Mannschaftsdienstgrade wäre der Ruhm der Poleroberung der Schlüssel zum gesellschaftlichen Aufstieg gewesen, zu Geld und Beförderung und einer sorglosen Zukunft. Dass er nun mit dem Makel des Verlierers zurückkehren würde, traf ihn deshalb empfindlicher als die anderen vier Männer. Der Schock schwächte seine Psyche und beförderte in der dünnen Höhenluft des Plateaus den physischen Niedergang. Noch immer machte ihm die eiternde Wunde an seiner Hand zu
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