Der Wettlauf zum Suedpol
Mittleren Gletscherdepot, gelangen.
Es mutet deshalb geradezu wie eine Wahnsinnstat an, dass sie am folgenden Tag die Rückreise unterbrachen, um zu »geologisieren«. Bereits am Morgen sammelte Bowers unterhalb des Mount Darwin einige Gesteinsproben ein und lud sie auf den Schlitten, und am Nachmittag rastete die ganze Gruppe bei einer Moräne unter den großen Sandsteinklippen des Mount Buckley, um die dortigen Gesteinsformationen zu untersuchen. Es ist nicht ganz klar, wer von den Männern die Idee hatte, hier haltzumachen und wissenschaftlich zu arbeiten – die treibende Kraft war jedoch keinesfalls Scott allein. Ihm dürfte der Zwischenstopp vor allem deshalb zupass gekommen sein, weil Shackleton in der Nähe Kohle gefunden hatte, was die geologische Bedeutung des Orts unterstrich. In Scotts imaginärem Wettkampf mit seinem britischen Rivalen ließen sich weitere Punkte sammeln, wenn er nun auch einige Fossilien finden und damit endgültig beweisen könnte, dass die Antarktis vor Urzeiten einmal mit üppiger Vegetation bedeckt gewesen war. Seine Begeisterung war groß, als Wilson rasch zahlreiche eindrucksvolle Fundstücke von Pflanzenfossilien beisammenhatte – »ein hochinteressanter Nachmittag«, notierte Scott erfreut. »Ob es sich bei Scotts Geologisieren um ein großartiges Beispiel für den Dienst an der Sache oder um eine törichte Zeitvergeudung handelte, hängt vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ab«, schreibt Diana Preston. Immerhin habe sich Scott nach der Schmach der verspäteten Ankunft am Pol mit dieser planvollen wissenschaftlichen Arbeit auch von »Amundsens opportunistischem Wikingerüberfall« abheben können, was für die Moral der Truppe wichtig gewesen sei. Doch Moral hin oder her – nüchtern betrachtet hatten die Männer am Abend 16 Kilogramm mehr zu ziehen.
Abb 194
Abb 196
Dass in der Antarktis vor Urzeiten einmal vielfältiges Leben existiert hatte, sollten die Zeichnungen winziger fossiler Kreaturen (links) demonstrieren.
Abb 197
Trotz aller Beschwerden wurde noch »geologisiert«: Bowers’ »Errungenschaften« Quarzdolerit (oben rechts) vom Mount Darwin und Kohle (oben) vom Mount Buckley am Beardmore-Gletscher.
Schon 24 Stunden später hatte sie der Alltag wieder. Erneut verliefen sie sich im Labyrinth der Eisfälle des oberen Beardmore-Gletschers und irrten halbe Tage lang orientierungslos durch das endlose Gewirr der riesenhaften Spalten und bodenlosen Abgründe. »Der furchtbarste Tag, den wir auf der ganzen Reise erlebten«, trug Scott am 11. Februar ins Tagebuch ein. »Sechs Stunden marschierten wir in der Hoffnung, eine stattliche Entfernung zurückzulegen, was wir auch jedenfalls getan haben, aber die beiden letzten Stunden führten uns in eine regelrechte Falle. Da wir schließlich doch noch auf gute Oberfläche kamen, dachten wir, es werde so bleiben, und schränkten unser zweites Frühstück nicht ein. Eine halbe Stunde später staken wir in dem größten Eistrümmergebiet, das mir je vorgekommen ist. Drei Stunden lang suchten wir auf Skiern vergebens einen Ausweg und glaubten schließlich, einen Weg gefunden zu haben. Aber das Eis wurde immer härter, unwegsamer und rissiger, und wir gaben schon alle Hoffnung auf, je aus diesem Eislabyrinth hinauszukommen. Die Skier mussten wir ablegen, wir konnten uns kaum mehr auf den Füßen halten; alle Augenblicke fiel einer von uns in eine Spalte hinein. Zuletzt erblickten wir eine glattere Fläche – also dorthin, wenn es auch noch so weit ist! Das Trümmerfeld veränderte jetzt seinen Charakter; statt der zerfetzten Oberfläche umgaben uns riesige Schlünde, kaum noch zu überschreiten. Aber eine andere Rettung gab es nicht – also vorwärts! Die Verzweiflung lieh uns Mut und Kraft, und um zehn Uhr abends waren wir in Sicherheit. Ich schreibe dies nach zwölfstündigem Marsch. Ich glaube , dass wir jetzt auf dem richtigen Wege sind, oder doch ungefähr; aber das Depot ist noch viele Kilometer entfernt! Wir haben deshalb heute Abend unsere Ration verringert. Morgen müssen wir etwas
für übermorgen aufsparen, wenn wir nicht sehr große Fortschritte machen. Die heutige Probe zeigte uns, was wir immer noch aushalten können. Wenn nur der Wind morgen so bleibt! – Eine kurze Nacht nur. So früh wie möglich müssen wir fort!«
Die Lage spitzte sich weiter zu, bis sie am Morgen des 13. Februar an Verpflegung nur noch eine Notration Pemmikan und etwas Tee besaßen. Noch immer wusste Scott nicht, wo sie sich
Weitere Kostenlose Bücher