Der Wettlauf zum Suedpol
schaffen, zudem magerte er immer mehr ab. Obwohl er größer und schwerer war, musste er mit den gleichen Rationen auskommen wie die anderen in der Gruppe. Er litt daher noch stärker als seine Kameraden unter dem Hunger und unter der nachlassenden körperlichen Leistungsfähigkeit. Vor den Offizieren fühlte er sich als Versager.
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Sein stetiger körperlicher Verfall bereitete Scott Sorgen: Edgar Evans.
Auch heute eine Gefahr: Erfrierungen
Obwohl die Teilnehmer des deutsch-österreichischen Wettlaufs zum Südpol unter ständiger Beobachtung stehen und auch ein Arzt die Expedition begleitet, ist die Reise auch heute nicht ohne Risiko. Nicht nur Gletscherspalten oder Schneestürme können den Teams gefährlich werden. Wie vor hundert Jahren sind es die extremen Temperaturen von bis zu minus 35 Grad Celsius und darunter – gerade der Windchillfaktor kann unangenehme Folgen haben – , die eine große Gefahr darstellen. Denn trotz des modernen Hightech-Equipments genügt schon die kleinste Unachtsamkeit, um sich Erfrierungen zuzuziehen – etwa wenn beim Wasserkochen oder Toilettengang die schützende Hülle der Polarkleidung abgelegt wird.
Besonders gefährdet sind alle Körperteile, die sich weit vom Herzen entfernt befinden und weniger stark durchblutet werden, wie Hände, Füße, Gesicht und Ohren. Im ersten Stadium einer Erfrierung ist nur die oberste Hautschicht betroffen, sie wird blass und taub. Werden die betroffenen Stellen rasch behandelt, so sind keine bleibenden Schäden zu erwarten. Breitet sich die Erfrierung jedoch weiter aus und gefrieren größere Hautpartien, so bilden sich beim Auftauen größere Blasen. Man spricht jetzt von Erfrierungen zweiten Grades. Auch diese können noch behandelt werden. Richtig gefährlich wird es ab Stufe drei, wenn eine Erfrierung die tieferen Hautschichten erreicht. Das Gewebe wird von Eiskristallen zerstört, und die Zellen sterben ab – eine Behandlung ist nicht mehr möglich, für die betroffenen Körperteile bleibt nur noch die Amputation.
So weit darf es natürlich nicht kommen, deshalb werden alle Rennteilnehmer am Midway-Checkpoint noch einmal eingehend vom Rennarzt untersucht. Bei Markus Lanz, der sich beim Feuermachen Benzin über die Finger gegossen hat und nun darüber klagt, kein Gefühl mehr in den Fingerspitzen zu haben, und bei Joey Kelly, dessen Lippe geschwollen ist, gibt der Mediziner Entwarnung.
Dagegen scheint es beim österreichischen Teilnehmer Alex Serdjukov ernstere Komplikationen zu geben. Nach einem genauen medizinischen Check-up steht fest: Der Verdacht auf Erfrierungen ersten Grades an sieben Fingern hat sich bestätigt. Alex Serdjukov muss das Rennen abbrechen. »Das war natürlich ein herber Schlag für mich. Ich hätte mir gedacht, dass es allen anderen passiert, nur mir nicht«, sagt der Mann aus der Steiermark. »Die Erfrierungen sind wie kleine Glassplitter; wenn ich etwas angreife, würden sie mir das gesunde Gewebe zerschneiden.«
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Der Österreicher Alex Serdjukov musste das Rennen abbrechen.
Dabei ist bei Erfrierungen besonders kritisch, dass sie unbemerkt auftreten können und sich der Betroffene grundsätzlich gut fühlt – oder gut zu fühlen glaubt, bis es schnell zu spät ist. Da ist Teamwork gefragt: Die Expeditionsteilnehmer sollten einander immer genau beobachten und sich gegenseitig auf plötzlich schneeweiße Nasenspitzen oder Ohrläppchen sofort hinweisen – und nicht mit einem »Ach, da ist nichts« zur Tagesordnung übergehen.
Die im Grunde banale Ursache bei Alexanders Verletzung war offenbar ein Unterziehhandschuh, in dem sich im warmen Zelt Feuchtigkeit angesammelt hatte. Zurück im Freien bei minus 30 Grad, gefror die Feuchtigkeit und zog auf diese Weise die Finger in Mitleidenschaft. So banal – so typisch, feuchte Kleidung ist die Ursache Nr. 1 für Unterkühlungen. Doch Serdjukov hat Glück im Unglück – weil die Erfrierung in einem frühen Stadium bemerkt wurde, drohen ihm keine ernsthafteren Verletzungen, die zu einer Amputation führen können. Er muss lediglich für einige Tage einen Verband tragen und wird die Reise zum Südpol statt im österreichischen Rennteam in einem Betreuerfahrzeug mitmachen.
Als Allererstes bekommt er allerdings eine heiße Suppe, dann wird er, komplett in Daunen eingehüllt, ins Zelt gesteckt und dazu verdonnert, sich zuerst einmal richtig auszuschlafen: Auch in der Antarktis gehört Schlaf zur besten
Medizin. Nur, um etwas wehmütig sein Team auf die
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