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Der Wettlauf zum Suedpol

Der Wettlauf zum Suedpol

Titel: Der Wettlauf zum Suedpol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
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befanden. Nur durch Zufall entdeckte Wilson dann die Depotfahne, und die Männer waren vorerst gerettet. Scott nannte es »die schlimmste Erfahrung der ganzen Reise, und uns alle hat ein schauerliches Gefühl der Unsicherheit gepackt. Jetzt sind wir wieder obenauf. Aber wir müssen künftig mit den Vorräten so haushalten, dass wir nicht wieder in solche Notlage geraten, auch wenn das Wetter uns aufhalten sollte.« Doch für solche wohlfeilen Überlegungen war es mittlerweile zu spät. Sie hatten jetzt Nahrung für dreieinhalb Tage auf dem Schlitten, und der hoffnungslose Wettlauf gegen die Zeit begann erneut.
    Inzwischen dürfte allen klar gewesen sein, dass es fortan um Leben oder Tod gehen würde. Der taumelnde Riese Edgar Evans sollte das als Erster am eigenen Leib spüren. Nachdem er am 4. Februar zusammen mit Scott in eine Gletscherspalte gefallen war, hatte sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Er lief nur noch stumpfsinnig und apathisch vor dem Schlitten her und murmelte unablässig unverständliche Sätze vor sich hin. Seine Erfrierungen sahen mit jedem Tag schlimmer aus, die Finger eiterten, er klagte über eine riesige Blase am Fuß. »Ihm sind die Kräfte ausgegangen. Er benimmt sich wie ein altes Weib und schlimmer«, notierte Oates am 12. Februar mitleidlos. »Er ist völlig erschöpft von der Arbeit, und wie er die 400 Meilen, die noch vor uns liegen, schaffen will, weiß ich nicht.« Der endgültige Zusammenbruch erfolgte am 16. Februar. An diesem Tag sackte Evans zusammen und musste aus dem Geschirr genommen werden. Er schwankte umher und war zu weiterer Zugarbeit nicht mehr fähig, ja nicht einmal mehr zu gehen, weshalb seine ärgerlichen Gefährten beschlossen, ihr Lager an Ort und Stelle aufzuschlagen. »Wenn er bis morgen nicht besser dran ist, weiß Gott, wie wir ihn nach Hause bringen sollen. Auf dem Schlitten können wir ihn unmöglich mitnehmen«, so Oates, der den in seinen Augen poltrigen und wichtigtuerischen Evans nie
gemocht hatte. Doch auch Scott verlor jetzt die Geduld mit seinem Protegé. Evans sei geisteskrank, er habe zweimal »unter lächerlichen Vorwänden« haltmachen lassen – und das, obwohl die Lebensmittel knapp seien und der Weg zum nächsten Depot noch weit, schrieb er in sein Tagebuch.
    Am nächsten Tag schien es Evans zunächst wieder besser zu gehen, er nahm seinen Platz im Geschirr ein und begann zu ziehen. Doch dann hatte er immer wieder Probleme mit seinen Schuhen, weshalb er schließlich abgekoppelt wurde und die Anweisung erhielt, die Angelegenheit zu richten und dann nachzukommen. Als er am Mittag immer noch nicht wieder aufgetaucht war, liefen die Männer zurück, um nach ihm zu sehen. Scott war vom Anblick des Mannes entsetzt: »Er kniete da, mit unordentlichen Kleidern, mit bloßen und erfrorene Händen und einem wirren Blick in den Augen.« Gefragt, was ihm widerfahren sei, stammelte Evans, dass er glaube, das Bewusstsein verloren zu haben. Er konnte nicht mehr gehen und musste mit dem Schlitten ins Zelt gebracht werden. Dabei wurde er erneut ohnmächtig, und er starb in der Nacht, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Scott schrieb: »Furchtbar, einen Kameraden so verlieren zu müssen! Aber bei ruhigem Nachdenken mussten wir uns sagen: immer noch ein Glück, dass die entsetzlichen Aufregungen der letzten Woche so endeten.« Bis heute ist die genaue Todesursache von Evans unbekannt. Vermutlich hatten sich die Mangelerscheinungen und Erfrierungen bei dem großen und kräftigen Mann verheerender ausgewirkt als bei den anderen. Möglicherweise wurde der rapide körperliche und geistige Verfall aber auch durch eine Kopfverletzung beschleunigt, die er sich beim Sturz in eine Gletscherspalte zugezogen hatte. Zwei Stunden hielten Scott und seine Gefährten Totenwache, dann brachen sie wieder auf. Was mit Evans’ Leiche geschah, ist nicht bekannt.
    Die Sensation wird verkündet
    Unterdessen hatte die Fram die Antarktis schon lange hinter sich gelassen und nahm Kurs auf Tasmanien. Zwar hatte Amundsen in seinem Brief an Nansen vom Juni 1910 erklärt, dass er nach Ende der Reise ins näher gelegene Neuseeland fahren wollte, doch das war eine jener typischen Notlügen, mit denen er glaubte, sein Unternehmen vor Schaden von außen bewahren zu müssen. Allerdings war Amundsen in dieser Beziehung ein gebranntes Kind – hatte er doch 1906 in Alaska ein Telegramm mit der Meldung über die erfolgreiche Bewältigung der Nordwestpassage nicht bar bezahlen

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