Der Widersacher
hatten. Darunter waren die Unterlagen zu den jüngsten Projekten George Irvings sowie seine privaten Dokumente, unter anderem mehrere Versicherungspolicen sowie die Kopie eines nur zwei Monate früher datierten Testaments.
Unterwegs berieten sie sich über ihre nächsten Schritte und verständigten sich darauf, den Rest des Tages im PAB zu arbeiten. Sie mussten verschiedene Unterlagen von Irvings Projekten und sein Testament durchsehen. Außerdem waren Glanvilles und Solomons Berichte zur Vernehmung des Hotelgasts fällig, der unmittelbar nach Irvin im Chateau Marmont eingecheckt hatte, sowie zu ihrer Suche nach Zeugen des Vorfalls, die im Hotel und in den Häusern in seiner unmittelbaren Umgebung durchgeführt worden war.
»Es wird langsam Zeit, eine Mordakte anzulegen«, sagte Bosch.
Das war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.
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M ochte der Siegeszug der Digitalisierung auch unaufhaltsam voranschreiten, Harry Bosch machte nicht dabei mit. Er konnte mit einem Handy und einem Laptop umgehen. Er hörte auf einem iPod Musik, und gelegentlich las er auf dem iPad seiner Tochter Zeitung. Aber wenn es um Mordakten ging, hielt er es nach wie vor mit Papier und Plastik und würde es auch weiterhin so halten. Er war noch von der alten Schule. Da spielte es auch keine Rolle, dass die Polizei auf digitale Archivierung umgestiegen war und dass es im neuen PAB keinen Platz mehr für Regale zur Aufbewahrung der dicken blauen Ordner gab. Bosch war jemand, der an Traditionen festhielt, vor allem dann, wenn er der Überzeugung war, dass diese Traditionen halfen, Mörder zu fassen.
Für Bosch war eine Mordakte das Schlüsselelement eines Ermittlungsverfahrens, genauso wichtig wie jedes Beweisstück. Es war der Anker des Falls, ein Kompendium aller Ermittlungsschritte, Vernehmungen und potenziellen wie tatsächlichen Beweisstücke. Es war ein konkreter Bestandteil der Ermittlungen, der Gewicht und Tiefe und Substanz hatte. Selbstverständlich ließ es sich auf eine digitale Computerdatei reduzieren und auf einen Speicherstick laden, aber irgendwie machte es das für Bosch weniger real und greifbar, und das fand er den Toten gegenüber respektlos.
Bosch wollte das Ergebnis seiner Arbeit sehen können. Er musste ständig an die Verantwortung erinnert werden, die er trug. Er musste sehen können, wie die Seiten im Lauf der Ermittlungen mehr wurden. Für ihn stand außer Zweifel, dass es keine Rolle spielte, ob er noch neununddreißig Monate oder neununddreißig Jahre Polizeidienst vor sich hatte; er würde nichts an der Art ändern, wie er Mörder jagte.
Als sie in der Offen-Ungelöst-Einheit ankamen, ging Bosch zu den Schränken an der Rückwand des Bereitschaftsraums. Jeder OU -Detective hatte einen solchen Schrank. Weil das PAB für das digitale Zeitalter gebaut war und nicht für die Handfestigkeit früherer Zeiten, war er nicht viel größer als ein halber Spind.
Bosch benutzte seinen Schrank hauptsächlich zur Aufbewahrung der alten blauen Ordner seiner alten gelösten Mordfälle. Um Platz zu sparen, waren diese Akten aus den Archiven aussortiert und digitalisiert worden. Die Dokumente waren gescannt und anschließend durch den Reißwolf gejagt worden, und die meisten Ordner waren auf dem Müll gelandet. Ein Dutzend von ihnen hatte Bosch jedoch retten können und in seinem Schrank versteckt, um sie immer zur Hand zu haben.
Jetzt nahm er einen seiner kostbaren Ordner – das blaue Plastik war im Lauf der Zeit verblasst – aus dem Schrank und ging damit in das Abteil, das er sich mit Chu teilte. Sein Partner nahm gerade George Irvings Akten aus dem Karton und stapelte sie auf dem Aktenschrank, der neben ihren Schreibtischen stand.
»Harry, Harry, Harry«, sagte Chu, als er den Ordner sah. »Wo soll das nur enden? Willst du denn nicht endlich mit der Zeit gehen?«
»In zirka neununddreißig Monaten«, sagte Bosch. »Dann kannst du deine Mordakten meinetwegen auf einem Stecknadelkopf unterbringen. Aber so lange werde ich es …«
»… so machen, wie du es immer gemacht hast, schon klar.«
»Das weißt du ganz genau.«
Bosch setzte sich an seinen Schreibtisch und öffnete den Ordner. Dann klappte er seinen Laptop auf. Er hatte bereits mehrere Berichte vorbereitet, die er in die Mordakte einfügen wollte. Er begann, sie an den Gemeinschaftsdrucker der Einheit zu senden. Dann kam ihm ein Gedanke, und er schaute sich nach einem Umschlag für den internen Briefverkehr um.
»Schon was aus Hollywood gehört?«,
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