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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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später akkurat auszuwerten.
    Er als Richter halte nichts von derartigen Aufzählungen. Bestrafungen und Urteile müsse man zu jeder Angelegenheit neu gestalten. Das habe nichts mit Wissenschaft zu tun, sondern mit exakter Menschenkenntnis – obwohl die meisten Delinquenten ihre Gattung zweifellos in ein schlechtes Licht rückten.
    Ohne den Blick von Jansen zu nehmen, humpelte Beuningen zum Wachtisch.
    Wenn jemand in seine Fußstapfen treten wolle, müsse dieser Jemand auch die Grundfesten des Rechts akzeptieren – gehorsam legte Jansen den erhaltenen Fall beiseite, wandte sich Beuningen und seiner ewigen Rede zu.
    Ordnung, Stabilität, Effizienz – die Komponenten des Rechts seien doch fürwahr derart simpel; und dennoch seien die Straßen voll von Übeltätern und Kriminellen, an jeder Ecke herrsche Mord und Totschlag, um Bagatellen: Brot, Miete, Steuern – es sei zum Verzweifeln!
    Träge zog Beuningen mit seinem Stock einen Schemel unter dem Tisch hervor.
    Man müsse sich unter Umständen neue Methoden ausdenken, um diesen primitiven Verhältnissen Herr zu werden. Sobald wie möglich benötige er ein Zusammentreffen mit einem Vertreter der Stadt; gerne mit Geheimrat Fischers, der habe für seine richterlichen Anliegen immer ein offenes Ohr gehabt.
    Seinen Stock gegen die Tischplatte lehnend, nahm der Richter umständlich Platz.
    Anscheinend greife die Justiz ja noch immer nicht hart genug durch – oder etwa nicht? Beuningen schüttelte sich. Er komme sich oft so lächerlich klein vor – so, als ob die Menschen ihn nicht ernst nähmen, obwohl er für die Rechtsprechung sorgen müsse. Ja, er müsse es tun, eine ernste Verpflichtung sei es, die Opfer verlange; das sei niemals leicht, man mache sich keine Vorstellung.
    Beuningen rutschte auf dem Sitz umher, bis er die rechte Position gefunden hatte.
    Der Grund für diese fatale Situation liege allein bei den Griechen.
    Jansen blickte erstaunt; derartige Auswüchse hatte Beuningens Rede bisher nicht hervorgebracht.
    Er habe schon recht gehört: Die alten Griechen, die seien schuld daran, dass die Juristerei nicht zu den sieben Künsten gezählt werde. Was nütze einem Arithmetik oder Grammatik, wenn das einfache Zusammenleben dem bloßen Zufall überlassen werde?
    Bevor sein Assistent antworten konnte, fuhr Beuningen fort.
    Ordnung, Stabilität, Effizienz, man könne es nicht oft genug wiederholen – allein auf diese Begriffe brauche man sich verlassen, dann sei die Rechtsprechung ein wahres Kinderspiel. Er habe dies sein Leben lang so gehandhabt und er, Jansen, sehe ja, was aus ihm, Beuningen, geworden sei. Keine Zauberei – bloße Erfahrung habe ihn zu einem echten Kenner gemacht.
    Damit griff er zu seinem Gehstock, pochte dumpf auf den mit Teppichen überladenen Dielenboden, erhob sich schwerfällig und ließ Jansen mit den Formalitäten zurück.
    Wenn er hier fertig sei, könne er ins Richterhaus kommen. Man müsse überlegen, was mit den Kindern der Toten geschehen solle. Jansen könne sich während der Vollstreckung sicher einige Gedanken dazu machen. Er, Beuningen, verlasse sich da auf ihn.
    * * *
    Fünf Kinder hockten nun in Beuningens Amtszimmer: Drei jüngere, die man zusammen mit ihren Eltern verhaftet hatte, und die zwei älteren, die man aus dem Wagen befreien konnte.
    Alle waren bleich, abgemagert und schmutzig und rochen nach Dreck, Armut und dem Elend der Welt. Während der Richter einen prüfenden Blick auf das Falschgeld warf, eine Münze mit zwei Fingern fixierte und mit einer Lupe inspizierte, bat ein älter wirkender Junge plötzlich darum, erklären zu dürfen, was mit ihnen geschehen war – in bestem Niederländisch!
    Ein wohliger Schauer durchfuhr Beuningens Körper; wie von selbst drehte er die Münze zwischen seinen Fingerspitzen vorwärts und rückwärts – er lächelte dem Redner zu.
    Er sei ein Landsmann und heiße Piet, und der da sei auch Niederländer, er höre auf den Namen Ferdinand, leider rede er nicht sehr viel; die anderen Kinder hießen Marte, Christjan und das kleine Mädchen Lisa.
    Mit großen Gesten und unglaublichen Schilderungen erfuhr Beuningen nun, was für Halunken ihm da tatsächlich ins Netz gegangen waren!
    Bald stand dem Richter vor Entsetzen der Mund weit offen.
    Man habe Piet und Ferdinand aus ihrer Heimat entführt, weg von ihren geliebten Familien. Piet selbst wisse gar nicht mehr, wie lange er schon in dieser elenden Gefangenschaft leben würde. Seitdem seien sie mit dieser Diebesbande umhergezogen,

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