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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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hätten sich ihr Brot erbetteln müssen und seien für jedes Fehlverhalten aufs Ärgste bestraft worden.
    Das waren keine einfachen Falschmünzer, das waren Kriminelle, die ihresgleichen suchten! Ein Menschenleben sei unter dieser Meute nicht viel wert gewesen. Man habe geraubt, gemordet, geplündert, nicht aus der Not heraus, nein: zum bloßen Zeitvertreib! Wenn der Tag zu langweilig war, dann – dann wurden Häuser angezündet. Wenn das Wetter zu schlecht war, ja, dann musste man – Frauen und Kinder schlagen. War das Essen zu salzig, dann habe man – Tiere gequält.
    All das Schlechte der Menschheit habe sich in dieser Gruppe von Gesetzlosen versammelt.
    Piet sei dem Richter so dankbar, dass er sie von diesen Wilden erlöst habe! Er vergoss seufzend einige Tränen; Ferdinand dagegen blieb erstaunlich ruhig. Die anderen Kinder verstanden ohnehin kein Wort und gafften wie blöd in der Gegend umher.
    Behutsam bat der Richter Piet, mit seiner Erzählung trotz all der Brutalität fortzufahren, unaufhaltsam die Münze weiter drehend und wendend.
    Man habe ihnen alles abgenommen, flüsterte Piet, alles, was sie besessen hätten. Bei Ferdinand habe man einen ganzen Taler gefunden. Da seien die Verbrecher vollends aus dem Häuschen geraten! Sie hätten Kessel, Hufeisen und Werkzeuge zusammengeraubt und alles eingeschmolzen, einfach alles, was sie finden konnten!
    Und all das leider unter seiner Anleitung.
    Piet seufzte schwer.
    Er sei früher der Lehrling eines Schmieds gewesen und musste, als seine Entführer schließlich jenes Geheimnis aus ihm herausgeprügelt hatten, von da an Tag und Nacht das gesamte Metall einschmelzen und zu Münzen verarbeiten.
    Piet ließ sich in den Ausschmückungen seiner Erzählung kaum bändigen. Sein Leidensgenosse Ferdinand versuchte wenige Male, die Geschehnisse zu verharmlosen, ja sogar zu verfälschen, schaffte es jedoch in keinster Weise, die Intensität der Geschichte abzuschwächen.
    Beuningen war von Piets Erzählung bald völlig verzaubert – er umklammerte die Münze, so fest er konnte.
    Prügel und Beleidigungen seien von Anfang an normal gewesen, fünf Stockschläge habe es bereits für zu lautes Husten gegeben. Angekettet hätten sie tagsüber im Boden des Wagens ausharren müssen, bis Piet schließlich auch die Ketten zu Münzen einschmelzen musste.
    Und warum habe man sie beide in diese ekelhaft stinkende Kiste eingesperrt?
    Beuningen wiederholte seine Frage, hielt das Geldstück angespannt zwischen Daumen und Zeigefinger.
    Piet seufzte erneut, wieder fielen wie verabredet Tränen zu Boden.
    Für eine solch große Gruppe sei es manchmal sehr schwierig gewesen, an ausreichend Lebensmittel zu gelangen.
    Nein!
    Der Richter stellte sich empört auf, ohne seinen stützenden Stock zur Hilfe zu nehmen.
    Das sei doch nicht möglich! Kannibalen?! Auch das noch! Nicht zu fassen! Unglaublich! Und das in diesen aufgeklärten Zeiten! In diesem fortschrittlichen Land!
    Nein, unfassbar, einfach unfassbar!
    Piet nickte, er habe es lange nicht glauben wollen; aber er und Ferdinand seien ebenfalls dazu gezwungen worden – dieses Gefühl werde er sein Lebtag nicht vergessen.
    Beuningen stand wie erstarrt, sah den leise weinenden Piet an, den mittlerweile völlig verstummten Ferdinand und auch die drei dümmlich glotzenden Deutschkinder. Dann breitete er seine Arme aus, umarmte ein Kind nach dem anderen und drückte als Letztes Piet fest an seine Brust, streichelte dessen Kopf und wiederholte immer wieder: Gerechtigkeit, es lebe die Gerechtigkeit!
    Aufgebracht pochte Beuningen mit seinem Stock auf den Boden, woraufhin seine Magd erschien; sie solle die Kinder hier mitnehmen und ihnen sofort etwas zu essen machen.
    Erst, als Beuningen wieder Platz nahm, fiel ihm auf, dass die Münze verschwunden war. Nicht nur das: Er war ohne Stock aufgestanden und hatte die Kinder umarmt!
    Verwundert – wie aus einem tiefen Schlaf erwacht – blickte Beuningen auf die vor ihm liegenden Notizen, die Jansen ihm hatte zukommen lassen, sah durch diese hindurch.
    Die Sache war klar, das Urteil gerecht – blieben die fünf Kinder.
    Laut Vorschrift würden diese so bald wie möglich in Heimen untergebracht werden. Beuningen überlegte, ob dies der beste Weg sei, sie ins Leben zu entlassen – aber die Vorschriften irrten sich nicht oder selten, das hatte er im Laufe seines Lebens mehr als einmal gelernt.
    Da Jansen mit den Hinrichtungen erst am Abend fertig werden würde – immerhin hatte Beuningen ja

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