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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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angeordnet, jeden einzeln hängen zu lassen –, quartierte er die Kinder vorerst im Pferdestall ein, wo sie von seiner Magd mit dem Nötigsten versorgt werden sollten.
    * * *
    Gerlach gähnte.
    Müde erhob er sich, warf über das Bild, welches er gerade studiert hatte, ein Tuch, nahm es auf und trug es ins Nebenzimmer, wo er es in jene Ecke schob, in welcher die kleineren Werke Ferdinands platziert waren.
    Zurück am Schreibtisch notierte er sich die Ergebnisse der Studie in sein Notizbuch, blätterte zurück, verglich den Eintrag mit einer früheren Untersuchung und las zuletzt einige Notizen; beinahe auf jede Seite hatte er Ergänzungen an den Rand gekritzelt.
    Es klopfte an der Haustür.
    Gerlach hörte, wie die Magd öffnete, erkannte die Stimmen seiner Kundschafter, schloss – bevor der Besuch vor ihm Platz nahm und Bericht erstattete – das Notizbuch und steckte es in seine Westentasche.
    Gerlach fluchte.
    Trotz seines vom Alter gezeichneten Äußeren und der fehlenden Zähne klang es derart laut und durchdringend, dass seine Besucher ängstlich zusammenzuckten.
    Er habe ihnen aufgetragen, dass sie ihm den Jungen brächten und nicht, dass er der Justiz in die Hände falle. Er verlange eine Erklärung.
    In kurzen, zaghaften Worten vernahm Gerlach, dass man in der Nähe einer größeren Stadt auf eine ganze Reihe von Hinweisen gestoßen sei, ja, sogar eine Hexe sei in die Zusammenhänge verstrickt gewesen!
    Diese Hexe konnte gefunden werden, auf dem Weg nach Antwerpen. Obwohl man sie und ihren Begleiter ordentlich verhört habe, sei bis zu ihrem Ende nichts Brauchbares herausgekommen. Man habe leider wieder von vorn anfangen müssen.
    Bevor Gerlach, der dem Vortrag missmutig gelauscht hatte, wütend seine Handfläche auf den Schreibtisch aufschlagen ließ, griff einer der Redner in eine Tasche und zog ein Zettelchen hervor. Neugierig hielt Gerlach inne, ließ die Redner fortfahren.
    Dieses hier habe man vor wenigen Tagen bei einer Gruppe von Kesselflickern gefunden.
    Darauf sei die besagte Hexe zu sehen.
    Gerlach sprang auf, seine Faust sauste auf den Tisch, dass er nur so krachte.
    Er habe genug von Bildern, diesen phantastischen Spielereien! Ein Vermögen habe er ausgegeben für Hunderte solcher Werke! Seit Monaten beschäftige er sich mit nichts anderem als solchen Bildern! Er verlange keine Hexe, sondern den Jungen, sofort!
    Unvermittelt löste sich seine Anspannung, er setzte sich hin, bat darum, fortzufahren.
    Man räusperte sich umständlich, tauschte unsichere Blicke aus, sprach dann aber weiter: Nach einigen notwendigen Ermutigungen habe man letztlich erfahren, dass der Zeichner jenes Werks eben jener gesuchte Junge sei und dass man diesen bei einer anderen Gruppe von Wanderern finden könne, nahe einer Stadt, keine zwei Stunden entfernt.
    Als sie jedoch zu besagtem Ort gelangt seien, habe man dort nicht den Jungen, sondern allerlei Volk und Wachleute angetroffen: eine Verhaftung, im vollen Gange, dem Geschwätz der Leute nach eine Bande Falschmünzer.
    Bevor man Näheres herausfinden konnte, da waren die Angeklagten mit Kind und Kegel auch schon hingerichtet, die Leichen verbrannt und die Asche in alle Winde zerstreut.
    Es täte ihnen leid.
    Der Junge sei – aller Wahrscheinlichkeit nach – tot und verbrannt.
    Mit diesen Worten reichte man Gerlach, bevor dessen Hand sich wieder zur knöchrigen Faust verkrümmen konnte, die karge Ausbeute ihrer Suche: das erbeutete Bild.
    Hastig griff Gerlach danach, legte es mit der weißen Seite nach oben vor sich auf die Tischplatte, strich mit den Fingerspitzen die Falten aus dem Papier und scheuchte mit einer winzigen Kopfbewegung seine Besucher aus dem Raum.
    Als er schließlich allein war, senkte er den Blick zu Boden.
    Dann weinte er.
    * * *
    Erst am Abend sichtete Beuningen die Habseligkeiten der Erhängten.
    Was er nicht alles fand: verschmutzte Tücher, verkohlte Holzschuhe, Beutel mit rostigen Nägeln, zerbrochene Krüge, verbeulte Töpfe, morsche Holzlöffel, zwei zerfledderte Bücher und drei Säckchen farbiger Kiesel, eine stumpfe Axt, einen Hammer mit zerbrochenem Stiel. Dazwischen Müll, Fetzen und weiterer Unrat, verschmiert und dreckig – Beuningen gab auf, wandte sich ab – da blieb er stehen, griff in den Haufen und zog die Bücher hervor. Dass deutsche Kriminelle lesen oder sogar schreiben konnten, das hatte er nicht gewusst.
    Nach dem Nachtgebet öffnete er im Schein einer Kerze das erste Buch. Es war kaum handgroß, ein Bändchen umwickelte

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