Der Widerschein
klar zu sein.
Sofort erhob sich Geschrei: Die Kleine solle still sein! Einige Gefangene zerrten an ihren Ketten, worauf Beuningen vorsorglich alle niederschlagen ließ, das Mädchen befreite und ihr deutlich befahl, ihm zu zeigen, wo sich diese Jungen befänden.
* * *
Die Gefangenen waren in den städtischen Kerker gebracht worden; ihre wenigen Habseligkeiten lagen aufgetürmt im Wachraum, und vor den Toren der Stadt standen noch Wagen, Karren und Tiere, die dort bewacht wurden – immerhin war alles nun Staatseigentum.
Die Kleine konnte nicht erklären, wo sich das Versteck befand, sie sollte es also zeigen.
Zuerst kramte sie aus dem Haufen im Wachraum einen Beutel hervor, zog daraus einen Schlüssel und hielt diesen Beuningen entgegen: Hiermit könne man das Schloss öffnen. Laut dachte Beuningen, wo wohl die Tür zu diesem Schlüssel sei, worauf die Kleine ihren Kopf schüttelte und fragte, warum er so dumm sei: Das sei kein Türschlüssel, sondern ein Kistenschlüssel, das sehe doch jedes Kind! Der sei doch viel zu klein!
Das verstanden nun sowohl Beuningen als auch die umstehenden Wächter. Beuningen stützte sich auf seinen Stock, beugte sich streng herab, hob seinen Zeigefinger. Wieder schüttelte das Mädchen den Kopf, ergriff den Finger des Richters und zog ihn aus dem Raum. Gemeinsam gingen sie aus dem Gefängnis und vor die Stadt zu den bewachten Wagen, gefolgt von einer Handvoll amüsierter Wachleute und allerlei Volk, das schnell von diesem Schauspiel Wind bekommen hatte.
Beuningen ließ sich führen, humpelte hinterher, bis sie vor einem der Wagen Halt machten und die Kleine stumm darum bat, ob er sie hochheben könne. Umständlich – seinen Gehstock unter einen Arm geklemmt – kam Beuningen dieser Bitte nach, folgte ihr unter die Plane, wo allerlei Kram lag, Körbe voller dreckiger Tücher, gesprungene Krüge und Kessel – aber keine Truhe.
Die Kleine kniete sich hin, schob einige Sachen beiseite und deutete auf eine seitliche Klappe am Boden, in der ein Schlüsselloch war. Beuningen nahm den Schlüssel zur Hand, stocherte im Boden herum und zog die Klappe hoch.
Entsetzt wich er zurück, stolperte aus dem Wagen, fiel aufs Gesicht und erbrach sich. Zuerst lachten die Menschen über ihn – aber dann verbreitete sich ein abscheulicher Gestank; die Menge wich zurück. Das Mädchen kam hervorgeklettert, stellte sich neben Beuningen und streichelte dessen Kopf: Das sei nicht so schlimm, und es stinke nicht immer so stark darin.
* * *
Eine Stunde später erschien Beuningen wieder vor den Gefangenen. Stumm hinkte er an ihnen vorbei, betrachtete sie von oben bis unten, sah jedem fest in die Augen. Wenn sie schon seine Sprache nicht verstünden, so würden sie zumindest seine Reaktion deuten können. Dann stellte er sich vor sie, stieß seinen Gehstock auf den Boden und polterte los.
Ja, sie hätten die Jungen gefunden, zwischen verdorbenen Lebensmitteln, Abfällen und anderem Unrat. Jedoch würden diese Jungen, die unter solch bestialischen Bedingungen eingesperrt waren, die eine derart unerhörte Tortur durchstehen mussten, selbstverständlich nicht verurteilt werden, was immer sie auch getan hätten – denn zu diesen Taten seien sie zweifellos gezwungen worden.
Beuningen beobachtete, wie die langsam begriffenen Wörter die Gesichter der Gefangenen veränderten und zu lautstarkem Einspruch verleiteten, den Beuningen sofort niederschlagen ließ. Er flüsterte: In seinem Beruf als Richter habe er schon von so manchem Verbrechen gehört, eines verachtenswerter als das andere – mit einem Schlag wurde er laut –, aber das Martyrium dieser Jungen sei das Ekelhafteste, was er je zu Gesicht bekommen habe.
Und um die Strafe noch härter zu gestalten, ließ er die übrigen Kinder abführen, um sie unverzüglich hinzurichten. Als die Frauen das begriffen, schrieen sie und heulten; aber Beuningen zeigte weder Regung noch Verständnis.
Bevor er ging, artikulierte er langsam und deutlich, damit die Gefangenen begriffen, was passieren würde. Man sollte jeden einzeln hängen, das würde Nachahmer abschrecken.
Sie würden einsam sterben.
Beuningen hatte nicht vor, die Kinder auch zu hängen; so etwas gab es in den Niederlanden schließlich nicht mehr – das brauchten die Angeklagten aber nicht zu wissen.
* * *
Verstimmt händigte Beuningen seinem Assistenten Jansen eine Handvoll Notizen aus, der diese mit sämtlichen Angaben der Verurteilten in Tabellen und Listen übertrug, um all diese Ergebnisse
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