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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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umherziehenden Vagabunden aufzusuchen, die manchmal in der näheren Umgebung lagern würden.
    Dort kannte man sich mit Hellseherei und dem übrigen Hokuspokus sicher ebenso gut aus.
    Tatsächlich traf man auf einem jener verruchten Plätze erstaunlich verständnisvolle Menschen an, die bereit war, einen Blick in ihre Zukunft zu werfen.
    Da jene ungewohnten Vorhersagen die Damen jedoch nicht so recht befriedigten wie die Ergebnisse der Giannotti, kam bald die Frage auf, ob man vielleicht auch wisse, was mit der berüchtigten Hexe geschehen sei.
    Nun breitete sich eine große Stille aus.
    Sie meinten Lucia Giannotti? Die Frau, die im Wald lebte? Die gelegentlich Kinder aus der Stadt zu ihnen brachte?
    Ob sie denn noch nicht die neusten Geschichten über sie gehört hätten?
    Die Frauen schüttelten mit offenen Mündern ihre Köpfe und baten darum, mehr hören zu dürfen. Großzügig reichte jede von ihnen weitere Münzen an die Erzähler.
    Alles habe damit begonnen, dass ihr junger Begleiter – ein Knabe mit dem Namen Ferdinand – eines Abends bei ihnen am Lagerfeuer aufgetaucht sei und nach der Giannotti gefragt habe. Er habe eine kleine Zeichnung von ihr bei sich gehabt und gebeten, ihr auszurichten, er würde sich jener Wandergruppe anschließen, die er mit ihr zusammen kennengelernt hatte. Sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Zuletzt sei er an Stelle der Giannotti in die Stadt gezogen und habe zwei Kinder von der Stadtwache abgeholt.
    Nun breitete sich unter den Damen wiederum Unruhe aus. Welche Kinder habe man denn von der Stadtwache abgeholt? Dort würden Verbrecher und Kriminelle eingesperrt werden, aber doch sicher keine Kinder – überhaupt, wessen Kinder sollten denn dies sein?
    Da man von den Vagabunden dazu keine brauchbaren Antworten erhielt und selbst zu keiner logischen Erklärung kam, beschlossen die Damen, jener Frage nachzugehen, wenn sie zurück in der Stadt waren. Nun drängten sie, mehr vom Verbleib der Hexe zu berichten.
    Die Erzähler fuhren fort, nicht halb so verschwörerisch, wie es die Giannotti zu tun pflegte: Eine Woche nach Ferdinands Verschwinden habe man die ersten Gerüchte gehört.
    Die Giannotti sei mit einem reichen Händler in Richtung Frankreich gezogen.
    Eine andere Geschichte besagte, eine Bande von brutalen Verbrechern habe sie überfallen und später umgebracht. Ihre Leiche habe man verbrannt und die Asche im Wald verstreut.
    Genaue Aussagen könne man leider nicht machen.
    Wo Lucia Giannotti auch immer sei, ihr Glück werde sie nirgends finden können. Man solle hersehen – mystische Karten wurden hervorgeholt, um ihr Schicksal darzustellen.
    Entweder sie sei tot oder trauere ihrem früheren Leben hinterher. Denn eigentlich sei sie zufrieden gewesen mit dem Los, das ihr das Schicksal zugespielt hatte. Sie habe eben der Versuchung nicht widerstehen können, dem Leben mehr abzuverlangen.
    So, wie die Karten sich zusammensetzten, bestehe das restliche Leben der berühmten Lucia Giannotti aus einer ereignislosen Eintönigkeit. Dies könne einerseits auf ihren Tod anspielen, aber auch auf eine auffällige Verhärtung ihrer Verhältnisse – was im Endeffekt darauf hinauslief, dass sich Lucia Giannotti in ihrem neuen Leben aller Wahrscheinlichkeit nach zu Tode langweile.
    Kurz gesagt: Lucia Giannotti habe ihr glückliches Leben im Wald zurückgelassen.
    Mehr gebe es nicht zu sehen.
    Missmutig begaben sich die Damen zur Stadt zurück, verbreiteten dort die erhaltenen Informationen und schmückten sie von Mal zu Mal umfangreicher aus. Durch die angestaute Aufregung verdrehte man die Geschichte über die ausgesonderten Kinder jedoch derart ungeschickt, dass sich binnen weniger Stunden ein wütender Mob bildete, der die betreffenden Vagabunden mit Stöcken und Äxten vertrieb. Dann zog man weiter und suchte in sämtlichen Wäldern rings um die Stadt nach der Hütte der Giannotti. Da man bis zum Einbruch der Dunkelheit nichts gefunden hatte – weder sie selbst noch ihr Heim –, brannte man alle in Frage kommenden Waldstücke kurzerhand ab.
    Zu guter Letzt kehrte der Mob in die Stadt zurück und forderte vom Magistrat eine plausible Erklärung für all diese rätselhaften Ereignisse bezüglich der verkauften Kinder.
    Dies führte dazu, dass die Stadtherren händeringend nach Verantwortlichen für ihre unangenehme Lage fahndeten. Obwohl offiziell natürlich kein einziges Kind als vermisst galt, fand man in einigen der rekrutierten Tagelöhnern zum Glück gleich mehrere

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