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Der widerspenstige Planet

Der widerspenstige Planet

Titel: Der widerspenstige Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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des Lebens und des Todes haben sich jetzt geändert. Anstatt Longfellows weitschweifigem Rat zu folgen, halten wir uns nun an Nietzsches Diktum – zur rechten Zeit zu sterben! Intelligente Menschen klammern sich nicht an die letzten Reste des Lebens wie Ertrinkende an einen Strohhalm. Sie wissen, dass das Leben ihres Körpers nur ein unendlich winziger Teil der Gesamtexistenz des Menschen ist. Warum sollten sie da nicht den Abgang des Körpers um ein paar Jahre beschleunigen, wenn ihnen danach ist? Warum sollten kluge Schüler nicht die eine oder andere Klasse überspringen? Nur die Verängstigten, die Dummen, die Ungebildeten klammern sich an jede nur mögliche Sekunde auf Erden, und sei sie noch so monoton.«
    »Die Verängstigten, Dummen und Ungebildeten«, wiederholte Blaine. »Und die Unglücklichen, die sich keine Jenseitsversicherung leisten können.«
    »Reichtum und Klasse haben eben ihre Privilegien«, sagte Hull mit mattem Lächeln. »Genauso wie ihre Verpflichtungen. Eine dieser Verpflichtungen besteht darin, zur rechten Zeit zu sterben, bevor man anfängt, seine Zeitgenossen zu langweilen und sich selbst zuwider zu werden. Aber der Akt des Sterbens durchbricht Klasse und Herkunft. Er ist der Adelsbrief eines jeden Menschen, seine Krönung zum König, sein größtes Abenteuer als Ritter, die größte Tat seines Lebens. Und wie er sich bei diesem einsamen und gefährlichen Unternehmen beträgt, das ist sein wahrer Wertmaßstab als Mensch.« Hulls blaue Augen blitzten auf. »Ich wünsche nicht, dieses wichtige Ereignis im Bett zu erleben. Ich wünsche keinen langweiligen, mittelmäßigen, alltäglichen Tod, der mich als Schlaf verkleidet überfällt. Ich wünsche – kämpfend zu sterben.«

    Blaine nickte und bedauerte seinen eigenen nüchternen Tod. Ein Autounfall! Wie langweilig, mittelmäßig und alltäglich! Und wie seltsam, dunkel und edel wirkte Hulls herrscherliche Todeswahl dagegen! Anmaßend natürlich; aber schließlich war das Leben selbst ja auch nichts als eine Anmaßung in einem riesigen Universum unbelebter Materie. Hull war wie ein alter japanischer Edelmann, der sich ruhig hinkniete, um die Zeremonie des Harakiri durchzuführen und die Wichtigkeit des Lebens sogar in der Wahl seines Todes zu betonen wusste. Aber Harakiri war ein passives östliches Ritual, während Hulls Form des Sterbens ein westlicher Tod war, wild, gewalttätig, ekstatisch.
    Es war bewundernswert. Aber enorm irritierend für einen Menschen, der nicht bereit war zu sterben.
    Blaine sagte: »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie oder jeder andere Mensch sich den eigenen Tod selbst aussuchen. Aber was ist mit den Jägern, die Sie töten wollen? Sie haben es sich nicht ausgesucht zu sterben und werden auch nicht im Jenseits überleben.«
    Hull zuckte mit den Schultern. »Sie haben sich dafür entschieden, gefährlich zu leben. In Nietzsches Terminologie: Sie ziehen es vor, Risiko und Gefahr zu erleben und mit dem Tod zu würfeln. Blaine, haben Sie Ihre Meinung geändert?«
    »Nein.«
    »Dann treffen wir uns am Sonntag.«
    Blaine ging zur Tür und empfing das Blatt mit der Wegbeschreibung von dem Butler. Beim Hinausgehen sagte er: »Ich frage mich, ob Sie wohl eine letzte Sache bedacht haben.«
    »Die da wäre?«, fragte Hull.
    »Sie haben sicher schon einmal darüber nachgedacht«, sagte Blaine. »Die Möglichkeit, dass diese ganze ausgeklügelte
Sache – das wissenschaftliche Jenseits, Stimmen der Toten, Gespenster – lediglich ein gigantischer Schwindel sein könnte, ein Betrug der alten Jenseits-Corporation, um damit Geld zu verdienen.«
    Hull stand völlig regungslos da. Als er sprach, schwang eine Andeutung von Ärger in seiner Stimme mit. »Das ist völlig unmöglich. Nur ein sehr ungebildeter Mensch könnte so etwas denken.«
    »Vielleicht«, sagte Blaine. »Aber Sie würden ja wohl ziemlich dumm dastehen, wenn es tatsächlich ein Schwindel wäre, was? Guten Morgen, Mr. Hull.«
    Er ging, froh darüber, diesen geschniegelten, selbstzufriedenen, vornehmen, redegewandten Bastard wenigstens einen Augenblick lang aus der Fassung gebracht zu haben – und traurig, dass sein eigener Tod so langweilig, mittelmäßig und alltäglich gewesen war.

16
    Am nächsten Tag, es war ein Samstag, begab sich Blaine zu Franchels Apartment, um Gewehr samt aufgestecktem Bajonett, Jägeruniform und Ranzen abzuholen. Er bekam die Hälfte seines Lohns minus zehn Prozent und Auslagen für die Ausrüstung. Das Geld war ihm sehr willkommen, denn

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