Der widerspenstige Planet
er hatte nur noch drei Dollar und ein bisschen Kleingeld.
Er ging bei der Geistvermittlung vorbei, aber Melhill hatte keine weiteren Nachrichten für ihn hinterlassen. Deshalb kehrte er in sein Hotelzimmer zurück und verbrachte den Nachmittag damit, mit seinem Bajonett zu üben.
Abends fühlte sich Blaine niedergeschlagen und mutlos, wenn er an die Jagd dachte, die am nächsten Tag beginnen
sollte. Er ging in eine kleine Cocktailbar an der West Side, die wie eine Bar aus dem zwanzigsten Jahrhundert aufgemacht war, mit einer dunklen, glänzenden Theke, Holzhockern, einem Messinggeländer, Nischen und Sägespänen auf dem Fußboden. Er schlüpfte in eine der Nischen, setzte sich und bestellte Bier.
Die klassischen Neonröhren leuchteten sanft, und eine echt antike Musikbox spielte sentimentale Melodien von Glenn Miller und Benny Goodman.
Blaine saß über seinem Bierglas zusammengesunken und fragte sich verzweifelt, wer und was er eigentlich war.
Konnte es wirklich sein, dass er einen Gelegenheitsjob als Jäger, und gar als Menschenjäger, angenommen hatte?
Was war denn mit Tom Blaine passiert, dem ehemaligen Konstrukteur von Segelbooten, dem ehemaligen Leser guter Bücher, dem ehemaligen Besucher interessanter Theateraufführungen? Was war mit diesem stillen, leicht spöttischen, zurückhaltenden Mann geschehen?
Dieser Mann, der in seinem schlanken, nervösen, bescheidenen Körper gehaust hatte, hätte doch wohl nie getötet!
Oder doch?
War dieser ihm so gut bekannte und verlorengegangene Blaine von dem großen, klobig-muskulösen Kämpferkörper mit den schnellen Reflexen besiegt worden, den er nun besaß? Und war dieser Körper mit seinen eigenen merkwürdigen Drüsensekreten in dem dunklen Blutkreislauf, mit seinem eigenen, individuell geformten und strukturierten Gehirn, mit seinem eigenen System von Nerven und Signalen und Reaktionen – war dieser dominierende Körper für alles allein verantwortlich und zog seinen hilflosen geistigen Besitzer in mörderische Gewalttätigkeiten hinab? Blaine rieb sich die Augen und rief sich zur Ordnung.
Das war alles Unsinn. Die Wahrheit war schlicht diese: Er war durch Umstände, die sich seiner Kontrolle entzogen hatten, gestorben, in der Zukunft wiedergeboren worden und hatte festgestellt, dass er keine Stellung finden konnte, außer der eines Jägers – quod erat demonstrandum.
Aber diese rationale Erklärung befriedigte ihn nicht und er war zu ungeduldig, die ihm immer wieder entschlüpfende, Haken schlagende Wahrheit zu packen.
Er war kein bloßer Beobachter des Jahres 2110 mehr. Er war ein parteiischer Teilnehmer geworden, ein Schauspieler statt ein Zuschauer, mit der ganzen gedankenlosen Eile und Hektik, die seine Rolle von ihm forderte. Teilzuhaben war wie ein Sog und entwickelte seine eigene Wahrheit. Die Bremsen waren gelöst und nun rollte Blaine den steilen Hang hinab mitten in das Leben. Vielleicht war dies nun endlich seine letzte Chance, Umschau zu halten, Bilanz zu ziehen, abzuwägen und eine kluge Wahl zu treffen …
Aber es war schon zu spät, denn ein Mann schlich wie ein Schatten durch den Raum und setzte sich ihm gegenüber in die Nische. Und schon blickte Blaine in das bleiche und unbewegliche Gesicht des Zombies.
»Guten Abend«, sagte der Zombie.
»Guten Abend«, sagte Blaine gefasst. »Möchten Sie vielleicht einen Drink?«
»Nein danke. Meinem Kreislauf bekommen Stimulanzien nicht.«
»Das tut mir leid zu hören«, sagte Blaine.
Der Zombie zuckte mit den Schultern. »Ich habe jetzt einen Namen«, sagte er. »Ich habe mich dazu entschlossen, mich Smith zu nennen, bis ich mich an meinen richtigen Namen erinnern kann. Smith. Gefällt er Ihnen?«
»Es ist ein schöner Name«, sagte Blaine.
»Danke. Ich war beim Arzt«, sagte Smith. »Er hat mir gesagt, dass mein Körper nichts taugt. Keine Kondition, keine Selbstheilungskräfte.«
»Kann Ihnen denn niemand helfen?«
Smith schüttelte den Kopf. »Der Körper ist erwiesenermaßen zomboid. Ich habe ihn viel zu spät besetzt. Der Doktor gibt mir höchstens noch ein paar Monate.«
»Wirklich schade«, sagte Blaine und spürte, wie ein Ekelgefühl in seinem Hals aufstieg, als er dieses trübe, bleichhäutige Gesicht mit den verquollenen Zügen ansah, mit seinem disharmonischen Ausdruck und den geduldigen Buddha-Augen. Smith saß da, zusammengesunken und hässlich anzusehen in seinen groben Arbeitskleidern. Sein weißes, mit schwarzen Pünktchen durchsetztes Gesicht war glattrasiert und
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