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Der widerspenstige Planet

Der widerspenstige Planet

Titel: Der widerspenstige Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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Rahmen seines Charakters handeln. Sein Zorn auf sich selbst und die wohlmeinenden Ärzte wuchs und mit ihm der Drang, über sich hinauszuwachsen.
    Es gab nur einen Weg für ihn, die erstaunliche Vielfalt von Möglichkeiten, die Widersprüche, die Leidenschaften, das Menschsein, das andere Leute in sich vereinten, zu erringen. Crompton hielt sich also weiter an seine Arbeit und fasste sich in Geduld. Endlich vollendete er das fünfunddreißigste Lebensjahr. Dies war das Mindestalter für eine »Reintegration der Persönlichkeit«, streng nach Gesetz und Vorschrift.
    Am Tag nach seinem Geburtstag kündigte Crompton seine Stellung, hob die in siebzehn Jahren gewissenhaft angelegten Ersparnisse ab und suchte seinen Arzt auf, entschlossen, sich zurückzuholen, was man ihm genommen hatte. Dr. Berrenger führte Crompton in sein Sprechzimmer, geleitete ihn zu einem bequemen Sessel und sagte: »Na, mein Sohn, wir haben uns lange nicht gesehen. Wie geht es Ihnen?«
    »Miserabel«, erwiderte Crompton.
    »Was macht Ihnen denn zu schaffen?«
    »Mein Charakter«, sagte Crompton.
    »Aha«, rief der alte Arzt und warf einen scharfen Blick auf Cromptons Bürogesicht. »Kommt Ihnen ein bisschen beschränkt vor, wie?«
    »›Beschränkt‹ ist wohl nicht das richtige Wort«, entgegnete Crompton steif. »Ich bin eine Maschine, ein Roboter, ein Nichts …«

    »Na, na!«, sagte Dr. Berrenger. »So schlimm wird es doch wohl nicht sein. Die Anpassung braucht Zeit …«
    »Ich hänge mir zum Hals heraus«, beschwerte sich Crompton. »Ich verlange meine Reintegrierung.«
    Der Arzt sah ihn zweifelnd an.
    »Und ich habe meinen fünfunddreißigsten Geburtstag hinter mir«, erklärte Crompton. »Ich kann meinen Anspruch auf Reintegration gesetzlich geltend machen.«
    »Das stimmt«, gab Dr. Berrenger zu. »Aber als Ihr Arzt und Freund möchte ich Ihnen nachdrücklich davon abraten, Alistair.«
    »Warum?«
    Der alte Arzt seufzte. »Es wäre gefährlich für Sie, ungeheuer gefährlich. Vielleicht sogar verhängnisvoll.«
    »Aber ich habe doch eine Chance, nicht wahr?«
    »Sie ist verschwindend klein.«
    »Dann bestehe ich darauf.«
    Der Arzt seufzte noch einmal, trat an einen Schrank und entnahm ihm eine dicke Akte. »Also gut«, sagte er, »sprechen wir Ihren Fall noch einmal genau durch.«

    Alistair Crompton, Sohn der Eheleute Lyle und Beth Crompton aus Amundsenville, Marie-Byrd-Land, Antarktis. Der Vater war Werkmeister im Plutoniumbergwerk Scott, die Mutter halbtags am Fließband der kleinen Transistorfabrik beschäftigt. Beide waren körperlich und geistig gesund.
    Während der ersten neun Lebensjahre wirkte Alistair in jeder Beziehung normal, wenn man von einer gewissen Unausgeglichenheit absah; Kinder sind jedoch häufig launisch. Im Übrigen war Alistair wissbegierig, unternehmungslustig, liebevoll und fröhlich und überdurchschnittlich intelligent. In seinem zehnten Lebensjahr nahm seine Unausgeglichenheit jedoch merklich zu. An manchen Tagen saß das Kind stundenlang auf seinem Stuhl und starrte ins
Leere. Gelegentlich reagierte es nicht einmal auf Zuruf. Man erkannte diese »Anfälle« nicht als Symptome, sondern sah sie als Tagträume eines fantasiebegabten Kindes.
    Alistairs Abwesenheitsanfälle nahmen an Zahl und Stärke zu. Er neigte vermehrt zu Wutausbrüchen, die der Hausarzt mit Beruhigungspillen zu bekämpfen suchte. Eines Tages, als Alistair zehn Jahre und sieben Monate alt war, schlug er ohne jeden Grund auf ein kleines Mädchen ein. Als es zu schreien begann, versuchte er es zu erdrosseln. Da dieses Vorhaben seine Kräfte überstieg, packte er ein schweres Buch und begann, auf den Schädel des Kindes einzuschlagen. Ein Erwachsener konnte den um sich schlagenden, schreienden Alistair gerade noch wegzerren. Das Mädchen erlitt eine Gehirnverletzung und musste ein Dreivierteljahr im Krankenhaus liegen.
    Als man Alistair zur Rede stellte, erklärte er, es nicht getan zu haben. Jemand anderer müsse dafür verantwortlich sein. Er würde niemals jemandem wehtun, schwor er, schon gar nicht dem kleinen Mädchen, das er sehr gern habe. Mit tiefergehenden Fragen erreichte man nur, dass er in eine Erstarrung verfiel, die fünf Tage dauerte.
    Selbst zu diesem Zeitpunkt wäre Alistair noch zu retten gewesen, wenn jemand die Frühsymptome der Virusschizophrenie erkannt hätte. Sofortige Behandlung konnte der Krankheit auch bei Kindern Einhalt gebieten.
    In den gemäßigten Zonen der Erde war die Virusschizophrenie seit Jahrhunderten

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