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Der widerspenstige Planet

Der widerspenstige Planet

Titel: Der widerspenstige Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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Komplexen. Charles Dickens, der große englische Dichter, hätte ihn, mit der gewaltigen Überschätzung seiner eigenen Wichtigkeit ausgestattet, auf einen hohen Hocker gesetzt und mit kratzender Feder verstaubte Hauptbücher einer uralten Firma füllen lassen. Ein Arzt des dreizehnten Jahrhunderts hätte ihn als Verkörperung eines der vier Temperamente gesehen, deren Wesen in den Urelementen Erde, Luft, Feuer und Wasser zu finden ist. Bei Crompton handelte es sich um das melancholische Temperament des Wassers, hervorgerufen durch zu viel trockene, schwarze Galle, die ihn mürrisch und grüblerisch gemacht hatte.

    Überdies war Crompton ein Triumph für Lombroso, den Phrenologen, und für Kretschmer, den Begründer der Konstitutionslehre, war Crompton ein warnendes Beispiel, eine traurige Gestalt.
    Das Schlimme war jedoch, dass Crompton seinen armseligen, verbogenen Charakter nur allzu genau kannte, sich seiner Mittelmäßigkeit bewusst war und gerechten Zorn darüber empfand, aber nichts dagegen tun konnte, als die Ärzte zu hassen, die ihn, wenn auch in bester Absicht, zu dem gemacht hatten, was er war.
    Neidisch beobachtete Crompton die Menschen um sich herum, mit all ihren wunderbaren Widersprüchlichkeiten, komplizierte Wesen, die aus der von der Gesellschaft aufgezwungenen Schablone herausragten. Er entdeckte leichte Mädchen, die nicht gutherzig waren, Feldwebel, denen Brutalität widerstrebte, reiche Männer, die kein Geld für wohltätige Zwecke spendeten, Iren, die nur ungern rauften, Griechen, die noch nie ein Schiff gesehen hatten, Franzosen, denen der Sinn für Logik fehlte. Die meisten Menschen schienen ein erfülltes, aufregendes Leben zu führen, wurden heute von unbezähmbaren Leidenschaften überwältigt, fielen morgen in seltsame Untätigkeit, sagten das eine, taten das andere, empörten sich gegen ihre Umwelt, sprengten ihre Fesseln, stürzten Psychologen und Soziologen in Verwirrung, brachten Psychoanalytiker zur Verzweiflung.
    All diese Herrlichkeiten waren Crompton jedoch versagt. Um eines gesunden Verstandes willen hatten ihm die Ärzte alles genommen, was an ihm vielschichtig und kompliziert war.
    Crompton traf mit der einem Fluch nicht unähnlichen Regelmäßigkeit eines Roboters jeden Wochentag Punkt neun Uhr an seinem Arbeitsplatz ein. Um fünf Uhr nachmittags legte er die Akten säuberlich auf einen Stapel und
kehrte in sein möbliertes Zimmer zurück. Dort verzehrte er appetitlos seine Reformnahrung, legte drei Patiencen und verfügte sich anschließend in sein schmales Bett. Jeden Samstagabend sah sich Crompton einen Film an, umgeben und belästigt von fröhlichen, zu allem Unfug fähigen jungen Leuten. Die Sonntage und der Urlaub waren dem Studium der Geometrie Euklids gewidmet, denn Crompton glaubte an die Vorteile des Heimstudiums. Und einmal im Monat schlich sich Crompton zu einem Zeitungskiosk und erstand ein Magazin unanständigen Inhalts. In der Zurückgezogenheit seines Zimmers verschlang er es, um dann in einer Orgie von Selbsthass das abscheuliche Produkt zu zerfetzen.
    Crompton wusste natürlich, dass man ihn in seinem eigenen Interesse zu einem Stereotyp gemacht hatte. Er versuchte, mit dieser Tatsache zu leben. Eine Zeit lang suchte er die Gesellschaft anderer farbloser, bleistiftdünner Charaktere. Aber diese anderen waren selbstzufrieden, spießig und eingebildet. Sie hatten ihre Eigenschaften schon bei der Geburt mitbekommen, im Gegensatz zu Crompton, der im Alter von elf Jahren von den Ärzten verändert worden war. Bald musste er jedoch entdecken, dass sich seinesgleichen nicht ertragen ließ, ebenso wenig, wie andere ihn zu ertragen vermochten.
    Er bemühte sich angestrengt, die engen Grenzen seines Charakters zu überwinden. Eine Weile spielte er mit dem Gedanken, zum Mars oder zur Venus auszuwandern, aber irgendwie wurde nie etwas daraus. Er wandte sich an das New Yorker Herzensbüro und man arrangierte dort für ihn ein Stelldichein. Crompton machte sich mit einer Nelke im Knopfloch auf den Weg zu seiner unbekannten Angebeteten; sie erwartete ihn vor dem Jupitertheater. Zweihundert Meter vor dem Ziel überkam ihn ein großes Zittern und zwang ihn, umzukehren und sich auf sein Zimmer zurückzuziehen.
In dieser Nacht löste er sechs Kreuzworträtsel und legte neun Patiencen, um seine Nerven zu beruhigen, aber selbst diese Abweichung vom Gewohnten brachte keinen dauerhaften Erfolg.
    Was er auch unternahm, Crompton musste wohl oder übel im überaus eng begrenzten

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