Der Widerstand
warum ihre Eltern in der letzten Zeit so ernst und besorgt waren. Was diese Dinge allerdings wirklich bedeuteten, wurde ihnen erst klar, als man ihren blutverschmierten Daddy auf einer Trage zur Hütte zurückgebracht hatte. Er hätte viel dafür gegeben, ihnen diesen Anblick zu ersparen.
Kein Wunder, dass sie Zeit mit mir verbringen wollen, hielt er sich vor Augen, während er abermals versuchte, eine bequeme Position zu finden. Und ich will ja auch Zeit mit ihnen haben! Ich wünschte nur, ich hätte nicht ihren entsetzten Gesichtsausdruck zu sehen bekommen, als sie dachten, ich würde sie nicht beobachten.
Die Erinnerung daran ließ ihn frustriert schnauben. Er wollte aufstehen, das Bett verlassen, raus aus dieser Höhle, zurück in die Hütte, wo seine Familie war, wo seine Kinder ihn sehen konnten – und wo er sie ebenfalls sehen konnte –, damit jeder von ihnen wusste, dass es den anderen gut ging.
Damit wirst du noch warten müssen, bis du wieder allein stehen und mehr als fünfzig Schritte am Stück machen kannst, Junge, ermahnte er sich. Das würde noch fehlen, dass die Shongairi plötzlich wieder auftauchen und dich mit dem verdammten Loch in deiner Schulter erwischen!
Mit der rechten Hand griff er nach seiner linken und berührte die Stelle, an der sie vom Verband ruhiggestellt auf seine Brust gedrückt wurde. Es war eine Geste, die er in den Tagen seit der Verletzung oft beschrieb. Er konnte die Finger der linken Hand bewegen, aber ihm war aufgefallen, dass er sich immer wieder vergewissern musste, ob er im linken Arm noch Gefühl hatte und ob er den Druck der Fingerspitzen seiner rechten Hand verspürte.
Die eigentliche Frage war natürlich die, ob er je wieder in der Lage sein würde, seinen linken Arm so uneingeschränkt gebrauchen zu können wie früher. Im Augenblick sah es dafür nicht allzu gut aus.
Die Shongair-Kugel hatte zwar keine Adern verletzt, dafür war aber das Schultergelenk stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Nachdem Wilson ihn nach Hause gebracht und erkannt hatte, wie schwer das Ausmaß der Schussverletzung tatsächlich war, hatte er sich praktisch gleich wieder auf den Weg gemacht. Veronicas Ausbildung war von Anfang an ein unbezahlbares Plus gewesen, aber die medizinischen Vorräte waren nie in einer Form angelegt worden, um so etwas bewältigen zu können. Als es ihr nicht gelungen war, die Blutung vollständig zu stoppen, hatte Wilson einsehen müssen, dass diese Wunde für Veronica eine Nummer zu groß war und er seinen Schwager doch noch verlieren würde. Also hatte er das gemacht, was jeder Marine tat, wenn er allein nicht weiterkam – er hatte sich an einen anderen Marine gewandt.
Oder genauer gesagt: an den Cousin eines Marine. Und so war Dvorak nach einer Weile leicht benommen aufgewacht und sah über sich ein pechschwarzes Gesicht mit Mundschutz und ernster, aber nicht besorgter Miene.
»Hosea?«, brachte er mühsam heraus.
»Wie er leibt und lebt«, antwortete Dr. James Hosea MacMurdo.
Warum ein junger Schwarzer lieber Hosea als James genannt werden wollte, war Dvorak seit ihrer ersten Begegnung ein Rätsel gewesen, aber MacMurdo hatte seit seinem sechsten Lebensjahr darauf bestanden, mit diesem Namen angesprochen zu werden. Vielleicht lag es daran, dass niemand in der Familie seinen Onkel hatte leiden können, der auch James hieß. Das war natürlich eine reine Mutmaßung, obwohl er MacMurdo mittlerweile seit fast fünfzehn Jahren kannte. Sein Cousin Alvin Buchevsky war ein Methodistenpastor, der auch des Öfteren in Dvoraks Kirche Predigten gehalten hatte. Alvin war zudem einer von Rob Wilsons besten Freunden, weil sie beide Marines gewesen waren. Zwar war Rob fast zehn Jahre jünger als Alvin, aber sie stammten aus der gleichen Stadt, sie hatten viele gemeinsame Bekannte, und sie waren für die gleichen Missionen ausgesucht worden – bis Buchevsky sich entschieden hatte, als Offizier zur Navy zu wechseln und Geistlicher zu werden.
Für Wilson war das damals ein Schock gewesen, wie er einmal zu Dvorak gesagt hatte, als sie beide zusammen mit Alvin Steaks gegrillt hatten. Aber obwohl Alvin zur Navy übergelaufen war, hatten sie festgestellt, dass sie dennoch Freunde bleiben konnten, zumindest solange niemand sonst etwas davon erfuhr.
Während sein Cousin also erst Leute erschossen und dann Leuten die Beichte abgenommen hatte, die ihrerseits Leute erschossen, hatte Hosea MacMurdo sein Medizinstudium absolviert und war Arzt geworden. Er gründete MacMurdo
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