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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mir Luft zu machen, nicht daß es dafür die geringste Notwendigkeit gab, denn die Brise, die zu den weit geöffneten Fenstern hereinwehte, war noch morgenfrisch. Die betonte Art, in der ich mir fächelte, kam mir selbst ein bißchen übertrieben vor, doch ehrlich gestanden hatte ich einen trockenen Mund, Nebel in Kopf und Gemüt, dazu schmerzte mein linkes Auge. Hätte mir in dem Augenblick einer gesagt, der Zwerg sei in Wahrheit ein böser Geist, der durch seine Verwünschungen die Damen und Herren hinweggezaubert hatte, ich hätte es fast geglaubt.
    Inzwischen nun ertönten drei Stöße, aber nicht auf dem Parkett, sondern von oben gegen die Saaldecke, so drönend laut,daß ich zusammenschrak. Gleichzeitig rief von oben eine mächtige Stimme etwas in einer gutturalen, unverständlichen Sprache herab, worauf die lothringischen Diener im Saal alle zugleich mit rauher Stimme antworteten und die Arme in die Höhe reckten, als riefen sie eine Gottheit an. Nun sah ich, wie die drei riesigen Lüster über ihren Köpfen ganz langsam herabsanken, und ich begriff, daß die Ketten, an denen sie hingen und die durch Löcher in der Decke glitten, über Rollenaufzüge liefen, die von anderen Männern dort oben auf dem Boden behutsam bedient wurden, denn das Herniedergleiten vollzog sich ohne Lärm, ohne Krachen und Schwanken mit jener unaufhaltsamen Langsamkeit, mit der ein Tag versinkt oder ein Schicksal sich erfüllt.
    Die Diener empfingen die schweren Kronleuchter in den erhobenen Händen, und sowie deren verzierte Spitzen den Fußboden erreicht hatten, riefen sie einige Wörter in ihrer rohen Sprache zur Decke hinauf, und ich sah, wie die Ketten plötzlich stillhielten und sich spannten, so daß die Lüster im Gleichgewicht verharrten. Dasselbe Manöver mußte im Verlauf des Balls (aber während ich schlief) schon einmal gemacht worden sein, um die Wachslichte zu erneuern, denn ich bezweifle stark, daß diese, so lang sie auch waren, eine ganze Nacht ausgereicht hatten. Doch wie immer dem sei, von all den Lichtern, die dieses prächtige Fest erleuchtet hatten, die glänzenden Augen der Kavaliere, das kokette Lächeln der Damen, ihre prächtigen Gewänder, ihre gleitenden oder hüpfenden Schritte, das Hüteschwenken, die Verneigungen, die Mienen- und Mimenspiele – nichts war von alledem übriggeblieben als häßliche Laufspuren aus gelbem Fett, welche die Diener, indem sie kleine Messer aus ihren großen Taschen zogen, aus den kupfernen Leuchterdillen zu kratzen begannen – über Lappen, die die Kammerfrauen auf dem Fußboden ausgebreitet hatten, damit das Parkett nicht verdorben werde. Ich weiß nicht warum, aber dieses Schauspiel erfüllte mich mit Traurigkeit.
    Ich erhob mich und ging zu Monsieur de Réchignevoisin, legte den vergessenen Fächer in seine Hände, und da ich aus seinem Munde vernahm, daß Ihre Hoheit mit Sicherheit den ganzen Tag schlafen werde, bat ich, er möge mich heimfahren lassen in die Rue Champ Fleuri.

SIEBENTES KAPITEL
    Ich habe einigen Grund, mich des 2. Januars 1608 zu erinnern – es war mein sechzehnter Geburtstag –, denn mit diesem Tag setzte in Paris eine außergewöhnliche Kälte ein. Der Frost war so stark, daß die Seine im Eis erstarrte und die Kähne und Lastschiffe am Quai au Foin vor dem Louvre gefangenlagen und die großen Frachten, welche sonst mit den Flüssen stromauf aus den Dörfern kamen, unterbrochen waren, was Menschen und Pferde auf karge Rationen begrenzte und alle Waren verteuerte, besonders aber das Holz, woran es nur allzubald mangelte, weil die Kälte die Pariser zwang, mehr zu heizen.
    Was uns angeht, so brauchten wir unter dieser Not nicht zu leiden, weil einige Zeit zuvor ein großer Sturm eine jahrhundertealte Esche auf unserem Gut Le Chêne Rogneux gefällt hatte, die mein Vater zu Feuerholz hatte schneiden lassen, womit er sich für zwei Winter einzudecken vermeinte und ein hochvolles Fuhrwerk in unser Pariser Hôtel hatte einfahren lassen, so daß nicht nur unser Holzspeicher bis obenhin gefüllt war, sondern ein Beträchtliches auch noch an einer Mauer aufgestapelt werden mußte, mit der wir an die Rue du Chantre grenzten.
    Vielleicht muß ich hier in Erinnerung rufen, daß unser Haus zwischen der Rue Champ Fleuri, wo Torweg und Haustür Zutritt zu unserem Hofe gewähren, und der Rue du Chantre liegt, von welcher man unseren kleinen Garten nur durch eine Pforte in einem so stark gefügten Mauerwerk betreten kann, daß es, meinem Vater zufolge, nichts

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