Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
bevor ich überhaupt etwas unternommen hatte.
»Nein, nein«, sagte sie, aber ohne daß ihre Stimme über den Flüsterton hinausging, »bitte, Monsieur, diesmal keine Küsse! Laßt ja Eure vermaledeiten Übergriffe! Das ertrage ich nicht! Wie könnt Ihr eine Jungfer aus gutem Hause so behandeln? Haltet Ihr mich für ein Kammerkätzchen? Ihr seid schändlich, Monsieur! Ein Schurke! Ein Höllenteufel! Ich verbiete Euch, mich anzufassen.«
Wie hätte ich diese durchsichtige Botschaft nicht enträtseln sollen! Und wäre ich taub gewesen, hätten ihre glänzenden Augen, ihre halboffenen Lippen, ihr gedrängter Atem, ihrekeuchende Brust mich aufgeklärt. Ich nahm sie in die Arme, löste ihr langes Haar, ich begann sie des wenigen zu entkleiden, das sie am Leibe trug. Ihre geflüsterten Proteste gewannen an Heftigkeit, was sie an Widerstand verloren. An ihrer Seite liegend, brauchte ich ihre beiden Hände nur mit einer Hand festzuhalten, ohne die geringste Kraft aufzuwenden: ihre Wehr bestand nur mehr aus Worten, und sogar die Worte gingen mehr und mehr in Seufzer über. Der einzige Widerstand, der noch blieb, kam von mir: ich wollte nichts wagen, was nicht wiedergutzumachen war. Ich hielt mich an das, was sie meine »vermaledeiten Übergriffe« nannte: ein kurioses Wort, mit dem sie unsere Zärtlichkeiten bezeichnete.
Sie befriedigten uns beide nicht. Noémie hätte gern alles gegeben, aber sie wollte nicht. Und ich nahm sie nicht: und es mißhagte mir. Aber hätte ich es getan, ich hätte es mir verübelt.
Wenn sie von mir ging, griff meine arme Sobol zu einer seltsamen Alchimie, indem sie ihre Gewissensbisse in Vorwürfe verwandelte.
»So, seid Ihr nun zufrieden!« sagte sie, ohne die Ironie ihrer Reden zu bemerken, »habt Ihr wieder Euren Willen gehabt! Denkt Ihr, Ihr schuldet es Eurem Stolz, Eure Stärke zu mißbrauchen? Ihr solltet Euch schämen, daß Ihr mich zu so schrecklichen Sünden zwingt!«
Aber noch in ihrem Zorn lag etwas Zärtliches. Schon an der Tür, eine Hand am Riegel, warf sie mir einen letzten Blick zu, dann kam sie plötzlich zurück, kniete sich vor mein Bett und bedeckte mein Gesicht wortlos mit kleinen Küssen, doch rasch und flüchtig, als sollte ihr Schutzengel sie nicht sehen.
Ich geriet in größte Verwirrung. Mein Verstand billigte, daß ich mich gezügelt hatte; mein Körper verwünschte mich. Die Absurdität in Noémies Reden mußte mich belustigen, aber ebendas machte mich auch traurig, weil ich dabei zuviel Mitleid mit ihr und ihrer Stellung empfand, als daß der Spaß mich hätte froh machen können.
Um aber wieder auf die Warnungen zurückzukommen, die Madame de Guise an jenem Abend hinsichtlich ihrer Ehrenjungfer an mich richtete, so machten mich ihre Verdächtigungen einfach stumm. Ich war ja Meilen davon entfernt. Endlich fiel meiner lieben Patin mein Schweigen auf.
»Was habt Ihr denn, mein Pierre? Ist Euch nicht wohl?«
»Oh, doch, Madame, ich bin nur weit über meine Schlafenszeit hinaus.«
»Ach, das ist nicht schlimm!« sagte sie lachend, »Müdesein ist keine Krankheit, man muß ihr nur nachgeben. Kommt, da weiß ich Abhilfe.« Damit faßte sie mich bei der Hand wie ein Kindlein und führte mich in die alte Kemenate, wo sie mich hinter dem Wandschirm auf das Ruhebett streckte, das mir noch so oft dienen sollte, ob mit Noémie oder allein.
»Aber dann verpasse ich das Ende des Balls«, sagte ich.
»Keine Bange«, sagte sie, »der dauert noch bis zum Morgen, und in einer Stunde komme ich Euch wecken. Verlaßt Euch darauf und schlaft nur. Mein Gott«, setzte sie hinzu, indem sie sich über mich beugte und mir mit dem Handrücken die Wange streichelte, »Ihr seid doch noch ein Kind!«
Ich fand es wunderbar, unter einem Blick, aus dem soviel Liebe sprach, die Augen zu schließen, aber ich konnte mich dessen nur kurz freuen. Ich hörte nicht einmal mehr, wie Madame de Guise die Tür hinter sich schloß. Der Schlaf überfiel mich so schnell, daß ich das wohlige Hinübergleiten gar nicht verspürte.
***
Ich weiß nicht, was Madame de Guise in die Quere kam – vielleicht neue Sorgen wegen ihrer Söhne oder der Prinzessin von Conti –, Tatsache ist, daß sie mich völlig vergaß. Die Sonne weckte mich, die durch die schweren Damastvorhänge drang und mir, sowie ich diese aufgezogen hatte, mit hellem Schmerz in die Augen stach. Auf einmal kam mir die alte Kemenate stickig vor, und ich wankte mit krummen Gliedern durch den Korridor, der zum Ballsaal führte, den ich nun
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