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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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seltsam still und verlassen vorfand, wenn ich vom Hofmarschall und einigen Dienern absehe. Mit vor Müdigkeit roten Augen machte mir Monsieur de Réchignevoisin eine Verbeugung und fragte mit einer Stimme, die auf langen Umwegen aus seinen tiefsten Eingeweiden heraufzusteigen schien: »Habt Ihr gut geschlafen, Monseigneur?«
    »Wunderbar!« sagte ich, wirr erstaunt, daß er mir diesen Titel verlieh. Aber nach einer zweiten Verbeugung entfernte er sich, und ich sank auf einen Schemel. Ich konnte kaum dieAugen offenhalten, vor allem aber wollte es mir einfach nicht in den Sinn, wie diese ganze Gesellschaft eleganter Seigneurs und schöner Damen mit ihren schimmernden Gewändern und ihrer so heiteren Unbekümmertheit plötzlich verschwunden sein sollten und daß statt alledem nichts zu sehen war als ein Halbdutzend Dienerinnen, vielleicht ebenso viele Diener und ein livrierter Hofmarschall, der nun, anstatt zu hüpfen und zu federn, wie ich ihn tags zuvor gesehen hatte, seinen Bauch kaum mehr auf den dicken Beinen halten konnte.
    Ich sah die Kammerfrauen eifrig ihre Besen schwenken, noch eifriger regten sich allerdings ihre Zungen. Es waren unzweifelhaft Französinnen, sogar Pariserinnen nach ihrer rasch dahinsprudelnden Redeweise. Die Diener hingegen, Lothringer, große, starke Kerle, die untereinander in einer deutschen Mundart sprachen, standen kraftvoll und massig, aber mit leeren Händen im Raum.
    Auf dem Schemel neben mir sah ich einen Fächer. Ich nahm und öffnete ihn, und da er aus Seide und mit einer Reihe Perlen besetzt war, staunte ich, daß eine der Damen einen so kostbaren Gegenstand hatte liegenlassen. Aber es war ein unklares Staunen, wie wenn das Verschwinden der Tänzer, die sich noch vor wenigen Stunden so anmutig an diesem Orte neigten und drehten, mein Bewußtsein in dem Maße zerstäubt hatte, daß ich, und sei es nur flüchtig, vermeinte, dieser Ball und alles, was ich währenddessen erlebt hatte, seien nur eine Illusion gewesen.
    Allerdings erschien mir in dieser Morgenfrühe alles ein wenig sonderbar, auch dieser Hofmarschall. Wie war es zu begreifen, daß der Amtsträger eines großen Hauses sich zur kleinlichen Überwachung eines Dutzends Bediensteter herbeiließ, von dem die gute Hälfte – die Lothringer – ungehörig mit baumelnden Armen und mit den Augen zur Decke herumstand, ohne daß ihr Müßiggang ihn zu dem mindesten Tadel veranlaßte. Übrigens beachtete er sie gar nicht. Seine Augen waren fest auf die Kammerfrauen gerichtet, und zwar mit einer solchen Aufmerksamkeit, daß ich, hätte Noémie de Sobol mir nicht verraten, daß er keine Frauen mochte, hätte glauben können, er maße sich, ohne Wissen Ihrer Hoheit, gewisse Herrschaftsrechte über sie an.
    Mir fiel auf, daß eines der Mädchen, während sie emsig denBesen schwang, mir verstohlene Blicke sandte. Ich erkannte Perrette, die Zofe, die mir am Vorabend einen Schemel gebracht hatte, als meine liebe Patin in dem kleinen Kabinett gekräuselt wurde und man ihr gleichzeitig die Füße massierte. Und indem ich zu ihr hinsah, erkannte ich auch, was sie und die anderen zusammenkehrten, während sie sich zu sechst auf die Stelle zubewegten, wo Monsieur de Réchignevoisin stand, denn es war nicht so sehr Staub als vielmehr eine Menge unterschiedlichster Gegenstände, die der verschwundene Ball zurückgelassen hatte: Bänder, Kämme, Handschuhe, Knöpfe, Perlen, Haarnadeln, Ringe und sogar Schuhe, eine Beute, über die Monsieur de Réchignevoisin argwöhnisch wachte, der sogar plötzlich eine silberne Pfeife, die an seinem Hals hing, ertönen ließ, als er eine der Kammerfrauen sich bücken sah, sicherlich um zu verhindern, daß sie eines dieser Dinge etwa an sich nähme und in ihren Kleidern versteckte.
    Vor Monsieur de Réchignevoisin stand ein Zwerg, wie man sie damals in großen Häusern hielt, aber keine erfreuliche Erscheinung, sondern zum Fürchten häßlich, und wachte grimmig bei einer Truhe, die fast ebenso groß war wie er und in die er jene Fundstücke, welche die Besen ihm zuschoben, eines nach dem anderen hineintat.
    Ich versuchte, meinen Blick nicht auf den Zwerg zu richten, soviel Übelwollen sprach aus seinen Augen, und doch bemerkte ich, daß er Réchignevoisin auf mich hinwies, der ich mich eines kostbaren Fächers bemächtigt hatte. Der Hofmarschall warf einen Blick nach mir, einen einzigen, wagte aber kein Wort, und entrüstet über die Frechheit des kleinen Unholds, schlug ich den Fächer sogleich auf und begann

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