Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
einschenkte.
Ganz sicher war es Sekundensache, aber die Haare ringelten sich über den ganzen Rücken in so anmutigen Wellen, soschweren, dicken und so goldenen Wellen hinab, daß dieses Entrollen mich eine endlose Zeit zu währen dünkte. Doch mag es sein, daß dieser Eindruck sich in mir auch deshalb bildete, weil ich mir dieses Wunder danach so oft wieder ins Gedächtnis rief.
Zuerst sagte niemand auch nur einen Ton, denn unsere Augen starrten ungläubig auf dieses goldene Vlies, und jeder empfand wohl bei sich, daß allein dieser Anblick die Dinge erheblich änderte. Der einzige, der den Schnabel auftat, war der Schweigsamste von uns. Und obwohl seine Beobachtung nicht eben der Ehrbarkeit genügte, sprach er sie ohne böse Absicht aus, einfach seiner gewohnten Sorge um Genauigkeit halber.
»Mann!« sagte Pissebœuf, »was immer die sich auf der Mauer abgefroren hat, der Sack war es nicht, das ist mal sicher.«
Kein Lächeln belohnte seine Überlegung, und Poussevent, der oft derber sprach, fand sie so unpassend, daß er seinem Kameraden mit dem Ellbogen in den Magen puffte.
»Dirne, wie bist du auf die Mauer gekommen?« fragte mein Vater und gab sich alle Mühe, den gestrengen Richter zu spielen.
Das Mädchen brauchte eine Weile, ehe es antworten konnte, so schlotterte es an allen Gliedern, aber, wie mir schien, mehr vor Kälte als vor Angst.
»Mit einem alten Aufschieblich von unserem Hof«, sagte es mit matter Stimme, aber sehr höflich, so zerlumpt es auch aussah.
»Männer«, sagte mein Vater zu den Soldaten, »wenn Ihr Euren Wein ausgetrunken habt, geht Ihr mir diesen Aufschieblich holen. Dirne, wo wohnst du?«
»Rue du Coq, Euch zu dienen.«
»Hast du kein anderes Gewerbe als zu stehlen?«
»Gestohlen hab ich noch nie, bis heute abend«, sagte sie. Und als nenne sie einen Adelstitel, setzte sie hinzu: »Ich bin Seidennäherin. Aber meine Mutter bekam hohes Fieber, als es mit der Kälte anfing, da bin ich zu Haus geblieben, um sie zu pflegen, und da hat mich der Meister entlassen.«
»Hat deine Mutter dich ausgeschickt, mich zu bestehlen?«
»Nein, nein. Sie ist gestern gestorben. Und wie ich so alleine dastand, ohne Feuer, ohne Brot und ohne einen Sou,damit der Pfarrer meine Mutter beerdigt, hab ich gedacht, ich werd Euch ein Scheit rauben, damit ich nicht so frieren muß, wenn ich verhungere.«
»Wußtest du nicht, daß ich den Bedürftigen auf der Gasse zwei Scheite abgebe?«
»Leider bin ich nicht aus Eurer Gasse.«
»Woher wußtest du, daß ich einen großen Holzstoß habe?«
»In unserer Gemeinde ist von nichts anderem die Rede. Ich hab es letzten Sonntag bei der Messe gehört.«
»Mariette«, sagte mein Vater nach einem Schweigen, »setz mir das Mädchen auf einen Schemel da vors Feuer und gib ihr Wein und ein belegtes Brot.« Was Mariette freudig tat, wie mir schien, wegen ihrer mütterlichen Ader. Große Stille war unter allen, die um das Mädchen herumstanden, während es seinen heißen Wein trank und sein Brot hinunterschlang.
»Dirne«, sagte mein Vater, »iß nicht so hastig! Sonst erbricht sich dein Magen. Nimm lieber kleine Bissen und kaue sie gut.«
Ich möchte wetten, daß es uns allen großes Vergnügen bereitete, zu sehen, wie sie kaute und schluckte – allen, außer Toinon, die sie mit sehr frostigen Blicken maß, weil sie jedes Weib, das jung und schön war, als ihre Feindin betrachtete, denn gewiß hätte man der kleinen Holzräuberin nur das Gesicht waschen müssen, damit es ebenso glänzte wie ihre Haare.
»Wie heißt du, Dirne?« fragte mein Vater in milderem Ton.
»Margot, Euch zu dienen.«
»Du sprichst zum Marquis de Siorac, Kindchen«, sagte Mariette und legte der Diebin ihre schinkengroße Hand auf die Schulter.
»Euch zu dienen, Herr Marquis«, sagte Margot.
»Nun sage, Margot«, sagte mein Vater, »was sollen wir mit dir machen?«
Hierauf hob sie Brauen und Schultern mehr schicksalsergeben als erschrocken, als sehe sie über die gegenwärtige Minute hinaus ohnehin keine Zukunft, weil sie wußte, daß es ein Verbrechen war, Holz zu stehlen, wenn auch bei großer Kälte, und daß es mit dem Galgen bestraft wurde.
Als sie keine Antwort gab, sagte Toinon mit lauter, klarer Stimme: »Sie dem Profoß übergeben, damit er sie henkt! Raub oder versuchter Raub, ist doch dasselbe.«
»Ist das ein unbarmherziges Frauenzimmer!« sagte Poussevent, der Toinon nicht leiden konnte, weil sie ihm als einstige »Nichte« Bassompierres und bei ihrer Aufgabe im Hause
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