Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
hatte, der tags zuvor nach Amiens aufgebrochen war und der, weil er wegen einer Liebschaft, die ihm sehr am Herzen lag, so schnell wie möglich nach Paris zurückwollte, die Torheit begangen hatte, die Nacht hindurch zu reiten, und dabei auf seinem Pferd eingeschlummert war. Dieser Schlummer war ihm zum Verhängnis geworden. Vitry fügte hinzu, der König lasse ausrichten, mein Vater solle den Fuchs behalten, weil seine Kuriere zu abergläubisch seien, um ein Pferd zu besteigen, auf dem einer von ihnen den Tod gefunden hatte.
    Der folgende Tag war ein Sonntag, und da mein Vater schon frühzeitig in den Louvre gerufen worden war, besuchte ich mit La Surie die Messe in Saint-Germain-l’Auxerrois, wo der Pfarrer Courtal eine Predigt über die Strenge des Winters hielt, in welcher er eine furchtbare Strafe des Himmels für die Unbarmherzigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen erblickte.
    »Denn nie seit Menschengedenken«, sagte er, »hat ein Winter soviel Tod über Paris gebracht, und noch viel ungewöhnlicher ist es und ein sehr unheilvolles Zeichen, daß in der Kirche Saint-André-des-Arts der Wein im Kelch in dem Momente gefror, da der Priester ihn zu opfern gedachte! Kann uns all dies aber Wunder nehmen? Da uns doch vor drei Monaten, am 7. September 1607 (schon diese gehäuften Sieben kündigten nichts Gutes an), ein großer Komet mit einem breiten Feuerschweif am Himmel erschienen ist: ein untrügliches Zeichen von Gottes Zorn. Und wirklich waren diese drei Monate noch kaum verstrichen, als diese grausige Kälte über uns kam, so daß Landstraßen und Flüsse im Eis erstarben und unser modernes Babylon einer Not anheimgefallen ist, welche die Menschen noch vor dem Erfrieren zum langsameren Hungertod verdammt. Ach! Es ist ganz offenbar, wie es auch die Astrologen versichern: dieser Frost, der ein Vierteljahr nach dem Kometen gekommen ist, wird noch drei Monate über uns herrschen und täglich neue Opfer fordern.«
    Woraufhin der Herr Pfarrer Courtal seine Gemeinde aufforderte zu beten, ihre Sünden zu bereuen, eifriger zur Beichte und zum Abendmahl zu gehen, und dringlichst empfahl er Novenen und Prozessionen, und sie sollten Kerzen vor dem Hauptaltar spenden und Messen lesen lassen, damit die Zahlund Stärke, sozusagen die Gewalt all dieser Gebete die Tore des Himmels bezwinge, den Zorn des Herrn erweiche und ein Ende der Plagen herbeiführe, mit welchen Er seine sündigen Geschöpfe heimgesucht habe.
    Beim Mittagessen, das der Chevalier und ich allein in unserem Hause einnahmen, weil mein Vater noch nicht zurück war, fragte ich ihn, was er von dieser Predigt halte.
    »Wenn man unseren guten Pfarrer hört«, sagte La Surie, »sollte man glauben, die ärmsten Pariser seien die größten Sünder. Denn sie bezahlen die Grausamkeit der Kälte, die Hungersnot und die Verteuerung des Holzes mit ihrem Leben. Lauter Dinge, die wohlversehenen Christen nichts anhaben können. Und wenn diese übermäßige Kälte uns vom Herrn gesandt worden ist, muß Er uns ganz besonders lieben, denn er hat uns erlaubt, eine einzige alte Esche zum Preis eines ganzen Waldes zu verkaufen, er hat unseren Pferdestall um ein schönes Roß bereichert und unseren Hausstand durch eine kleine Seidennäherin verschönt.«
    ***
    Als ich meinem Vater anderntags La Suries Worte wiederholte, lachte er zuerst, dann aber wurde er sehr ernst.
    »Diese Denkweise«, sagte er, »ist bei Priestern üblich und gehört zu ihrem Metier. Trotzdem macht Pfarrer Courtal das Seine gut, denn er ist kein Eiferer, kein Fanatiker, und er ist nicht unbarmherzig gegen die Armen. Aber in meinen Augen hat er vor allem ein Verdienst: er ist dem König treu. Erinnert Euch an den Aufruhr, nachdem Henri den zornigen Protestanten erlaubt hatte, in Charenton ihren Tempel zu errichten. Denkt an das Wutgeheul der Katholiken! Was, schrien sie, in Charenton! Nur zwei Meilen von Paris! Da es im Edikt von Nantes 1 doch schwarz auf weiß festgelegt ist, daß die Ketzer ihren Teufelskult nur vier Meilen von Paris entfernt feiern dürfen! Die Sakristeien erzitterten, die Kirchen waren in heller Aufregung, und fast überall wurde dagegen gewettert, außer ...«
    »Außer in Saint-Germain-l’Auxerrois.«
    »So ist es! Pfarrer Courtal schwieg, weil er fand, ob zwei Meilen oder vier Meilen – der Unterschied rechtfertige kein solches Geschrei.«
    In der darauffolgenden Woche befiel mich eine große Sorge, doch weniger um Henri als vielmehr wegen meines Vaters, denn ich befürchtete, zwischen

Weitere Kostenlose Bücher