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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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die Nase etwas zu hoch trug.
    »Margot«, sagte mein Vater, ohne Toinon eines Blickes zu würdigen, »ich werde mit Pfarrer Courtal reden, damit er deine Mutter beerdigt, ohne daß es dich etwas kostet. Und solange es so kalt ist, kannst du hier bleiben. Mariette wird dir Näharbeit geben, nicht so sehr Seide, aber Tuch und Leinwand. Und jetzt«, fuhr er in aufforderndem Ton fort, »da der Wein getrunken ist, begebe sich jeder zur Ruhe.«
    Als Margot dies hörte, ging sie und küßte ihm stumm die Hand, woraufhin unsere Kammerfrauen einander anblickten. Ich wünschte meinem Vater gute Nacht und stieg die Treppe hinauf, wo ich auf den Chevalier de La Surie traf, dessen Zimmer an das meine grenzte.
    »Chevalier«, sagte ich halblaut, »fürchtet Ihr nicht auch, daß meine liebe Patin ihre großen Rösser besteigt, wenn sie diese goldenen Haare und dieses Gesichtchen bei uns sieht?«
    »Mein Junge, man muß einige Unbequemlichkeiten auf sich nehmen, wenn man seine Pflicht tut.«
    Und bei dem Wort »Pflicht« lächelte La Surie, und sein braunes Auge blitzte, während sein blaues ungerührt blieb.
    Der Frost hielt auch die folgenden Wochen an und nahm sogar noch an Schärfe zu, dergestalt daß im Wald von Fontainebleau sich Felsen spalteten und manche sogar in Stücke sprangen, was mich sehr erstaunte, denn bis dahin hatte ich geglaubt, es sei eine bloße Redensart, wenn man sagt, es »friert zum Steinespalten«. Auf den Straßen fand der Wächter jede Nacht Menschen, die erfroren waren. Am vierzehnten Januar wurde bei Tagesanbruch unsere Milchfrau tot auf dem Pflaster gefunden, mit dem Kopf auf ihrem Milchkrug.
    Am fünfzehnten Januar aber geschah etwas noch viel Seltsameres. Da mein Vater und La Surie im Louvre zu tun hatten, war ich in unserem großen Saal mit Mademoiselle de Saint-Hubert allein und beschäftigt, aus ihrem Munde Italienisch zu lernen, aber ebenso, sie anzublicken (und Toinon in ihrer Eifersucht verfehlte nicht, ab und an durch den Raum zu laufen und ein Auge auf uns zu werfen). Da nun kam Franz, mir zu melden, vor unserem Torweg drehe und wende sich einReiter, als verlange er Eintritt, doch ohne daß er einen Ton sage, ohne daß er absteige und an das Tor klopfe, nur sein Pferd wiehere wie toll. Ich legte Mantel und Hut an und ging mit Pissebœuf und Poussevent zum Kutschentor hinaus, um den sonderbaren Besucher nach seinem Begehr zu fragen.
    »Das wird er Euch nicht sagen, Monsieur«, sagte Franz, der als gebürtiger Lothringer besser als wir wußte, was Kälte hieß.
    »Aber wenn er erfroren wäre«, sagte ich, »fiele er doch vom Pferd.«
    »Das kann er nicht«, sagte Poussevent, indem er die Hand an den Schenkel des Mannes legte. »Der ist steif wie Holz, den hält die Beingrätsche im Sattel wie einen Zinnsoldaten.«
    Ich wollte es genau wissen und befahl, die Toreinfahrt zu öffnen und ihn in unseren Hof zu führen. Aber es kostete auch mit Hilfe unseres herbeigeeilten Kutschers Lachaise noch die größte Mühe, diesen Reiter vom Pferd zu heben, weil seine Beine den Pferdebauch umschlossen wie eine eiserne Klammer. Der Sattelgurt mußte gelöst und der Sattel unter ihm weggezogen werden, indem man ihn anhob, damit ein Zwischenraum entstand und man ihn mit Zerren und Schieben über den Hals und Kopf des Pferdes hieven und zu Boden setzen konnte, wo er, was immer man anfing, mit seinen starr gekrümmten Beinen in demselben spitzen Winkel zum Körper verharrte. Was Pissebœuf zu der Überlegung veranlaßte: »Ich frage mich, was der für eine Art Sarg braucht, damit man ihn unter die Erde bringen kann.«
    Niemand von uns und auch keiner der Nachbarn kannte den Mann, aber das Pferd, ein stattlicher Ungarfuchs, war uns wohlvertraut. Mein Vater hatte ihn zwei Monate zuvor an den König verkauft. Was erklärte, daß der Ungar, als sein Reiter ihn nicht mehr lenkte, sich zum eigenen Herrn gemacht hatte und zu unserem Stall heimgekehrt war, den er wahrscheinlich dem königlichen Marstall vorzog, weil dort das Futter knapper oder der Pferdeknecht weniger liebevoll war.
    Ich schickte einen unserer Pagen zum Profoß, der mir seinen Leutnant sandte und den Toten auf einem offenen Karren abholen ließ, was sowohl auf unserer wie auf den benachbarten Gassen großes Aufsehen machte, weil der Körper des armen Erfrorenen im Tod diese sonderbare Haltung bewahrte.
    Am Abend, nachdem mein Vater und La Surie wiederdaheim waren, kam Vitry zu uns und berichtete, daß man den Reiter als einen Kurier des Königs erkannt

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