Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
aus. »Oh! Ich einne mich gut an ihn!«
Und er faßte mich bei der Hand und führte mich zu einer Truhe, aus der er die kleine Armbrust zog, die ich ihm bei unserer ersten Begegnung geschenkt hatte. Mich rührte eine so große Dankbarkeit, zumal er Mengen schöner Geschenke von allen Seiten erhielt – besonders von Königin Margot –, und Tränen traten mir in die Augen. Louis entging diese Bewegung nicht, denn war sein Verstand auch geringer als der seines Vaters, besaß er doch in den menschlichen Beziehungen denselben Spürsinn. Und er wandte sich an Henri rundheraus mit der Bitte, er möge mich ihm geben.
»Mitnichten, mein Sohn«, sagte der König. »Im Augenblick dient der Chevalier mir. Aber nach mir wird er Euch gehören.«
Bei diesem »nach mir« erblaßte der Dauphin, er wandte sich ab, und um mir sein Gesicht zu verbergen, tat er, als krame er in seiner Truhe.
Die Fenster der Kammer, die ich im Schloß innehatte, lagen zum Garten hinaus, was zugleich vorteilhaft und unerquicklich war. Denn so sehr die Beete, Boskette und Fontänen das Auge selbst im Dezember noch erfreuten, wurden die Ohren durch den Höllenlärm belästigt, den die Maurer und Zimmerleute bei Tage machten, die auf dieser Seite das neue Schloß errichteten. Allerdings war ich selten in meiner Kammer, da ich entweder vom König oder aber, weit öfter, vom Dauphin gerufen wurde: da er aus dem Munde seines Vaters gehört hatte, ich sei »hochgelehrt«, wollte er mich über alles befragen, auch über Dinge, in denen ich nur sehr unzureichend Bescheid wußte.
So entschloß ich mich denn, ihm einzugestehen, daß ich zum Beispiel von der Falknerei oder dem Weidwerk viel weniger verstünde als er und auch außerstande sei, so wie er eine Fliese im Fußboden auszuwechseln. Diese Offenheit gefiel ihm, auch das darin eingeschlossene Lob seiner handwerklichen Talente – die zahlreich und für sein Alter erstaunlich waren –, und da er schließlich begriff, daß meine Kenntnisse geistige waren, stellte er mir keine Fragen mehr, die meine Kompetenz überschritten. Indessen konnte ich ihm dank Monsieur Martials in Sachen Festungskunst und Mathematik einigermaßen Rede und Antwort stehen.
Ich muß bekennen, daß es mich höchlich verwunderte, ihn dabei zu sehen, wie er im Garten ohne Unterlaß die Maurer und Zimmerleute ausfragte, im Marstall die Kutscher und Pferdeknechte, in den Küchen die Köche und Saucenrührer, so begierig war er, zu lernen, »wie die Dinge gemacht wurden«. Doch begnügte er sich nicht mit Rezepten. Er mußte auch selber Hand anlegen. Als Madame de Guise, die ihn besuchen kam, während ich in Saint-Germain weilte – womit sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlug –, sich einmal beklagte, daß sie Hunger habe, bereitete er ihr im Handumdrehn ein Omelette, das sie sehr gelungen fand.
Am Sonnabend, dem sechsten Dezember, während ich mich fertig ankleidete, klopfte ein Diener an meine Tür, brachte mir eine Brühe und zwei Schnitten mit frischer Butter, fachte mein Feuer an, ging hinaus, kam mit einem Schreibpult wieder, das er auf einen kleinen Sekretär stellte, und sagte, in den nächsten Augenblicken werde Seine Majestät mich aufsuchen. Ich fand,es sei doch zuviel der Ehre, daß der König in meine Kammer kommen wolle, anstatt mich zu sich zu rufen. Aber das Rätsel löste sich schnell, denn sowie er bei mir eintrat, die Tür hinter sich verschloß und den Riegel vorlegte, sagte er, daß er mir einen vertraulichen Brief an den König von England diktieren wolle, den ich in die Sprache jenes Souveräns übersetzen und dann über die Zeit meines Hierseins am bloßen Leibe verwahren solle. Gleich bei unserer Rückkehr nach Paris werde ein Monsieur Déagéan zu mir kommen und mich das Chiffrieren lehren. Danach werde Déagéan den Brief mitnehmen, und nachdem ich alle Entwürfe vernichtet hätte, müsse ich sogar die Erinnerung daran aus meinem Gedächtnis löschen.
Dies letzte Gebot zu halten schien an der Sache das Schwerste, doch muß es mir wohl geglückt sein, denn ich wäre heute, da ich diese Zeilen schreibe, nicht fähig, die Neugier des Lesers zu befriedigen und ihm auch nur ein Wort jener Botschaft wiederzugeben. In der Politik sind die Geheimnisse des Vortags tatsächlich sehr bald überholt, oft schon am Morgen danach.
Während der vier Tage, die der König in Saint-Germain-en-Laye verbrachte, sah Louis ihn viele Male. Er spazierte mit ihm durch den Garten, hörte die Messe an seiner Seite, folgte in der
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