Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
unterhielt sich während der ganzen Überfahrt mit dem Fährmann. Er redete mit den kleinen Leuten nicht nur aus Sympathie, sondern auch, weil er wissen wollte, wie sie lebten.
Da er fast nie Geld bei sich hatte, es sei denn, er spielte, rief er Roquelaure zu, er solle den Fährlohn begleichen, was der aber nicht etwa königlich tat, sondern zum genauen Preis, weil er wußte, daß der König ihm solche kleinen Ausgaben nie zurückzahlte. Henri war sich nämlich durchaus klar, wie sehr das Amt des Oberkämmerers Roquelaure bereicherte. Und ich beobachtete amüsiert, daß es hier zwei Mißbräuche gab, die einander nicht ganz aufhoben. Roquelaure bestahl den König, den er jedoch über alles liebte, und der König beglich ihm gegenüber nie seine Schulden.
Nachdem der Strom überquert war, bewegte sich die Karosse im Schrittempo den steilen und sehr ungefügen Hang hinan, der zum Schloß Saint-Germain-en-Laye führt. Henri, den seine Unterhaltung mit dem Fährmann kurze Zeit zerstreut hatte, verfiel wieder in seine schwarze Stimmung, aus der er nach einer guten Viertelstunde nur auftauchte, um mit tonloser Stimme zu sagen: »Ich wollte, ich wär tot.«
Dieser Satz aus dem Munde eines Herrschers, der für seinen fröhlichen, spottlustigen Charakter bekannt war, verschlug uns die Sprache, und eine Weile blicken wir einander ratlos an, bis Roquelaure es wagte, mit sehr bewegter Stimme das Wort zu ergreifen.
»Wieso, Sire?« fragte er. »Seid Ihr nicht glücklich?«
»Ich würde gerne mit dem Fährmann tauschen«, sagte Henri und nickte dazu mit dem Kopf. »Er hat seine Hütte am Wasser, hat Fischrecht, wo sein Schiff liegt, verdient genug, daß er nicht verhungert. Er hat seinen Sohn bei sich, ein Bürschchen von zehn Jahren, und von Zeit zu Zeit ein Weib, das ihm die Milch bringt. Was kann man sich Besseres wünschen?«
***
»Schöne Leserin, Sie runzeln die Brauen, wie ich sehe, was stört Sie?«
»Was Sie da soeben erzählten, macht mich stutzig. Überspannen Sie den Bogen nicht ein bißchen? Und nehmen sich bei Ihren Erinnerungen nicht Freiheiten heraus, um mir ein paar Tränchen abzuringen? Hat Henri Quatre wenige Zeit, bevor er ermordet wurde, wirklich gesagt: ›Ich wollte, ich wär tot‹? Wie soll Henri denn auf einen so verzweifelten Gedanken gekommen sein?«
»Der große Politiker, Madame, seine Geschicklichkeit, seine Klarsicht verbergen Ihnen den Menschen, der er war: empfindsam, leidenschaftlich, oft verliebt und, wie man damals sagte,
romanzesco
. Er liebte bis zur Narrheit, bis zur Kinderei, und wollte, da er sich aus zärtlichem Stoff gemacht fand, so gerne wiedergeliebt werden.«
»Und da drückte ihn der Packsattel, meinen Sie?«
»Ja, Madame, und so sehr, daß es ihm unter die Haut ging. Weder seine beiden Gattinnen noch seine Mätressen hegten für ihn die mindeste Zuneigung. Und als er endlich mit der Verneuil brach – der schlimmsten von allen, Madame, ein wahrer Teufelsbraten –, was, meinen Sie, hat er ihr da vorgeworfen? Daß sie ein Komplott zu seiner Ermordung geschmiedet hatte? Keineswegs. Gesagt hat er ihr: ›Fünf Jahre haben mir wie mit Gewalt den Glauben eingeprägt, daß Ihr mich nicht liebt. Eure Undankbarkeit hat meine Leidenschaft erschlagen.‹«
»Muß er naiv gewesen sein, wenn er das nicht eher gemerkt hat!«
»Tatsächlich. Aber wie liebt man ohne Vertrauen?«
***
Wie bedaure ich, daß ich mir während der Tage, die ich in Saint-Germain war, keine Aufzeichnungen gemacht habe, wie es der Doktor Héroard tagtäglich über so viele Jahre tat und wie sie Pierre de l’Estoile über die Stadt und den Hof niederlegte. Zwanzig Jahre sind seit diesem meinem Aufenthalt im Schloß vergangen, und wenn ich mich jetzt erinnern will, was ich selbst gesehen und gehört habe, mischt es sich unwillkürlich mit dem, was ich an Ort und Stelle, aber auch bei späteren Begegnungen von Doktor Héroard erfuhr, dem großen Freund meines Vaters, der trotz unseres Altersunterschiedes auch bald der meinige wurde.
Von heute gesehen dünkt es mich, das Datum dieses Besuches sei glücklich gefallen, denn der Dauphin Louis, der am einundzwanzigsten September sieben Jahre alt geworden war, sollte im Lauf des Januars 1609 Saint-Germain-en-Laye für immer verlassen und im Louvre wohnen, damit seine Erziehung aus weiblichen Händen nun in männliche Hände überginge. Selbst seine Worte bezeichneten den Wechsel von der Kindheit in das Alter der Vernunft. Künftighin mußte er – was ihm das Herz
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