Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
nicht abdrücken würde – »Frau Mutter« und nicht mehr »Mama« sagen, und, was ihm sicherlich weit schwerer fiele: »Herr Vater« anstatt »Papa«.
Louis erlebte also, als ich ihn bei dieser Gelegenheit wiedersah, seine letzten Wochen in Saint-Germain-en-Laye, und obwohl er das Schloß und besonders die Boskette, Grotten und Fontänen seines wunderbaren Gartens liebte, verließ er es, wie ich hörte, trockenen Auges. Wichtig war für ihn, daß Doktor Héroard ihm in den Louvre folgte, und vor allem, daß er dort alle Tage, die Gott werden ließ, Henri sehen konnte, seinen Abgott und sein Vorbild.
Die Abwesenheit und Gefühllosigkeit seiner Mutter hatten ihn jedoch sehr mit Doundoun, seiner Amme, verbunden, zu der er als Fünfjähriger einmal sagte: »Ich liebe Euch sehr, meine süße Doundoun. Ich liebe dich so sehr, meine süße Doundoun, daß ich dich töten muß!«
Aber diese Amme war eine Frau, die sich auf altertümliche Art mit Safran parfümierte, und wenn Louis Wärme und Zärtlichkeit suchte, vertrieb ihn dieser Geruch aus ihrem Bett, und er mußte sich in das von Madame de Montglat flüchten, für die seine Gefühle jedoch sehr gemischt waren.
Gewiß war er ihr zugetan, weil sie sich mit Hingabe seiner annahm, doch er fürchtete sie auch, denn sie hatte die »Macht der Rute« – das einzige, womit sie nicht knauserte: es verging kaum eine Woche, ohne daß sie, beide Hände mit Gerten gewaffnet, zu ihm sagte: »Auf, Monsieur! Den Arsch freigemacht!«
Sogar in ihrer Häuslichkeit mit dem Baron de Montglat hatte die Dame die Hosen an. Da, wo Doktor Héroard Louis’ Verstocktheiten durch Güte überwand, begegnete sie diesen mit aller Härte und war in ihren Züchtigungen ebenso unnachgiebig wie Louis in seinem Widerstand. Dem entsprangen bei ihrem Zögling stampfende Wutanfälle mit Geschrei und Zähneknirschen, mit Kratzen, Verwünschungen und Todesdrohungen (diese indes nicht aus Liebe) und nach der Bestrafung Tränen, aber nicht aus Reue, sondern aus rasender Wut.
Am siebenten Dezember, nachdem Henri ihn wieder verlassen hatte und in den Louvre zurückgekehrt war, worauf ich noch zu sprechen komme, geriet Louis mit dem Baron de Montglat in Streit und schlug ihm mit einem Stöckchen auf die Finger. Madame de Montglat erbost sich. Louis erbost sich ebenfalls. Er schlägt sie, nennt sie »Hündin« und »Hexe« und läuft zornig aus dem Raum. Man folgt ihm, versucht ihn zu besänftigen. Er fürchtet, anderntags von der Montglat geprügelt zu werden. Eine gute Seele versichert ihm, daß es nicht so sein werde, und setzt hinzu: »Monsieur, Ihr müßt ihr nicht so zürnen, Ihr seid nicht mehr lange hier.«
»Oh!« sagt er, »ich wünschte, ich wä schon fot!«
Hierauf rief er Mademoiselle de Vendôme 1 zu sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich mach mi ein Stock, de hohl isch. Den mach ich gansch voll mit Pulve, den steck ich unte ihen Ock und schünd ihn an, und dann vebennt de ihen ganschen Aasch.«
Ich weiß nicht, was mehr zu Buche schlug, die Strenge einer ruteschwingenden, geizigen Gouvernante oder der Mangel an Liebe, den die mürrische, kaltherzige Mutter ihm bewies, oder aber die Anzeigen eines allzu diensteifrigen Beichtvaters, jedenfalls war Louis, wie mir Doktor Héroard sagte, weit entfernt, für das
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2 dieselbe Anziehung zu empfinden wie sein Vater. Als Vierjähriger hob er eines Tages die Hand gegen seine kleine Schwester, und Héroard, der sich einmischte, fragte ihn: »Monsieur, warum wolltet Ihr Madame schlagen?«
»Weil sie meine Birne essen wollte.«
»Monsieur, das ist es nicht. Warum habt Ihr sie schlagen wollen?«
»Weil ich Angst vor ihr habe.«
»Warum, Monsieur?«
»Weil sie ein Mädchen ist.«
Der Leser mag versucht sein, über diese kindlichen Reden die Achseln zu zucken. Gleichwohl war diese Angst vor Mädchen nachweislich stark in ihm und erklärt nur zu gut, weshalb er später in seiner Ehe scheiterte. Der Philosoph wird hierzu sagen, daß zwei verschiedene Ursachen die gleiche Wirkung zeugen können. Die Ehe seines Vaters war schlecht, weil er die Frauen zu sehr liebte, und die seine war unglücklich, weil er sie zuwenig liebte.
Als Henri mich zu Beginn unseres Aufenthaltes in Saint-Germain in sein Zimmer führte, stellte er mich auf seine knappe und herzliche Weise ihm vor.
»Mein Sohn, hier ist der Chevalier de Siorac. Sein Vater hat mir gut gedient, und eines Tages werdet Ihr an diesem hier den besten Diener haben.«
»Oh, Sioac!« rief Louis
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