Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
Kutsche seinen Jagden, speiste oft mit ihm und fand, wenn dies nicht der Fall war, mit einem Seufzer, daß »Papa sehr lange bei Tische« sei, denn er sehnte sich jedesmal, ihn wiederzuhaben, auch wenn seit ihrem letzten Beisammensein erst zwei Stunden vergangen waren. Dann hielten sie sich an der Hand, tauschten zärtliche Blicke, umarmten und küßten sich. Doch hatte Henri auch auf seine Belehrung acht. Als er ihn vor einem Hund, der die Zähne bleckte, zurückschrecken sah, hörte ich ihn in strengem Ton sagen: »Man darf keine Angst haben.«
Der Sonntag kam, und der König mußte auf Schlag Mittag nach Paris zurück. Die Karosse wartete schon vor dem großen Portal, und auf den Treppenstufen war der ganze kleine Hofstaat von Saint-Germain versammelt, ihm Lebewohl zu sagen. Louis begleitete seinen Vater die Stufen hinunter, das Gesicht bleich, traurig und verschlossen. Im Moment des Abschieds schien er sprachlos, seine Lippen zitterten, er brachte keinen Ton heraus.
»Was ist, mein Sohn!« sagte Henri. »Ihr sagt nichts? Umarmt Ihr mich nicht vor meiner Reise?«
Da fängt Louis still an zu weinen, denn er will seine Traurigkeit vor so großer Gesellschaft nicht zeigen.
Der König wechselt die Farbe und nimmt ihn, auch dem Weinen nahe, küßt und umarmt ihn, und seine Worte sind: »Ich sage Euch wie Gott in der Heiligen Schrift: mein Sohn, ich sehe deine Tränen voll Freude und werde ihrer achthaben.«
Von der Dauer her war es eine sehr kurze Szene, aber eine von großer Innigkeit. Alle, die dabei waren, verharrten stumm. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Ohne sich umzudrehen, sprang der König in die Karosse, und Louis lief schnell die Treppenstufen empor, so sehr fürchtete er, daß man ihn weinen sähe.
ACHTES KAPITEL
Mein Großvater, der Baron von Mespech 1 , führte sein Leben lang und bis ins hohe Alter ein »Buch der Rechenschaft«, in dem er alle Ereignisse, große wie kleine, verzeichnete, die seine Familie, ihn selbst oder seine Leute betrafen. Darin komme ich vor unter dem 20. September 1607: »Mein Sohn Pierre teilt mir durch Sendschreiben mit, daß mein Enkel Pierre-Emmanuel de Siorac vom König zum Chevalier ernannt worden ist. Diese Ehrung ehrt die Voraussicht desjenigen, der sie verleiht: Pierre-Emmanuel wird seinem Herrscher ein vortrefflicher Diener sein. Er ist ernsthaft, arbeitsam und, was ihn sehr liebenswert macht, voller Saft und Leben.« Dem war eine sehr anrührende Notiz als Postskriptum hinzugefügt: »Ich bete zu Gott, daß Pierre-Emmanuel mich mit seinem Vater in Mespech besuchen kommt, ehe die Zypressen mich in ihre Nacht aufnehmen.«
Ein »Rechenschaftsbuch« führe ich nicht, aber, wie man heute sagt, ein Tagebuch. Und als ich darin blätterte, wie es oft geschieht, während ich diese Memoiren schreibe, fand ich unter dem 8. Dezember 1608 eine knappe Einlassung: »Ge stern zurück von Saint-Germain-en-Laye. Bericht. Vater bewegt. La Surie ergötzt. Abscheuliche Spöttelei La Suries. Billett. Ich auf dem Gipfel der Freude.«
Wenn ich meine Erinnerungen nun darauf durchforsche, was wohl hinter diesen paar Worten stand, kann ich über die wundersame Alchimie des Gedächtnisses nur immer wieder staunen. Denn dieser Scherz La Suries – dem ich überhaupt keine Bedeutung beimaß und den ich ungezogen fand –, kommt mir schneller in den Sinn als jenes Billett, das mich so erfreut hatte: »Wenn man den Ruf von Königin Margot bedenkt«, hatte La Surie gesagt, »kann man wirklich nur staunen, daß sie sich ausgerechnet die Herzen ihrer Liebhaber einbalsamieren läßt.« – »Miroul!« sagte mein Vater. Seine Stimme,ihr vorwurfsvoller Ton klingen mir nach so vielen Jahren noch deutlich im Ohr, und plötzlich ist auch alles andere wieder da samt jenem Billett, das in meiner Abwesenheit eingetroffen war und das mein Vater mir erst übergab, nachdem ich meine Erlebnisse ausführlich berichtet hatte; gewiß nahm er nicht grundlos an, ich wäre in meinen Erzählungen allzu kurz geworden, hätte er es mir früher gegeben. Nach diesem kleinen Brief habe ich emsig in meinen Kassetten gesucht. Und hier ist er, vom Alter ein wenig vergilbt:
Monsieur,
Ihrer Höflichkeit verdanke ich so viele und so hübsch ausgedrückte Entschuldigungen für ein Ausbleiben, an dem Sie doch schuldlos waren. Ich wäre sehr undankbar gegen diesen großen König, der den Meinen ein so treuer Freund ist, wenn ich nicht verstünde, daß sein Dienst Vorrang vor meinen Lektionen hat. Im übrigen bin
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