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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ab! Da steht doch die Welt Kopf! Meine junge Haut schmeckt Euch wohl nicht mehr!«
    Als sie mit »Alte« und »Schachtel« kam, wäre mir fast die Hand ausgerutscht. Zum Glück besann ich mich, daß sie, wenn ich die Beherrschung verlöre, das Brenneisen hinwerfen und mich mit halb gewellten, halb glatten Haaren sitzenlassen, im ganzen Haus von unten bis oben Lärm schlagen und zwei Tage mit mir schmollen würde. Ich bezähmte mich also und bewunderte im stillen, wie sie mir binnen kurzem die Würmer aus der Nase gezogen und mich derart aufgebracht hatte. Wahrlich, wer dieses Geschlecht das schwache nennt, vergißt, daß es eine Zunge hat!
    Ich sagte also kein Wort, stellte mich, als sei ich gegen ihre Sticheleien Marmor, gestand mir ein, daß sie mir und ich ihr zu nahestand, als daß sie gar keinen Grund gehabt hätte, zu zanken, und gelobte mir, so etwas nicht wieder zu machen. Das hieß ein paar Wellen zu teuer bezahlen.
    Es verwunderte mich, daß mein Vater, der sonst so haushälterisch mit seinem Geld umging, eine Mietkutsche bestellt hatte, um mich zur Gräfin von Lichtenberg zu bringen, und glaubte anfangs, unsere Karosse würde am Nachmittag anderweitig gebraucht. Aber als der Kutscher mich dann dreimal in der Woche, montags, mittwochs und freitags zu meinen Stunden abholte, wurde mir klar, daß es während meines Aufenthaltes in Saint-Germain-en-Laye zwischen der Dame und ihm eine Abmachung gegeben habe, meine Besuche anonymer stattfinden zu lassen, da unsere Kutsche ja das Wappen meiner Familie trug. Ich schloß daraus, daß Frau von Lichtenberg – weil sie Deutsche und Kalvinistin war – befürchtete, ihr Haus könnte von ligistischen oder spanischen Spionen überwacht werden. Und mein Vater bestätigte meine Überlegung, indem er mir empfahl, stets die Kutschenvorhänge zu schließen und sie erst zu öffnen, nachdem ich in den Hof des Hôtel de Lichtenberg eingefahren und das Tor hinter mir geschlossen worden war.
    Auch beobachtete ich, daß die Mauern, die das Haus Frau von Lichtenbergs umschlossen, sehr hoch waren, sowohl die Hof- wie die Gartenmauern, daß Fenster und Fenstertüren mit schweren, eisenbeschlagenen Holzläden bewehrt waren und daß es im Hause viele kräftige, scharfäugige Diener und Lakaien gab, die nach ihrer Sprache aus der Pfalz stammten und sich notfalls wohl in Soldaten verwandeln konnten. Und was die Gräfin betraf, beobachtete ich, daß sie die Tür des Saales oder des Zimmers, je nachdem, wo sie mir die Stunde gab, stets hinter sich verriegelte, sowie wir uns eingerichtet hatten, daß sie dem Diener aufschloß, wenn er den Imbiß brachte, und hinter ihm wieder zusperrte. Diese Vorsichtsmaßnahmen bezauberten mich. Ich hatte den Eindruck, ein gefährliches Abenteuer zu erleben.
    Was ihren Unterricht anlangte, flößte sie mir noch zusätzlichen Respekt ein, denn ich merkte schnell, daß meine »Schul meisterin « es mit jedem Jesuiten aufnehmen konnte, und Gottweiß, in welchem hohen Ruf die auf diesem Gebiet standen. Mein Französischlehrer, Monsieur Philipponeau, war ein glänzendes Beispiel dafür, denn mochte er ob seiner Galanterien auch die Kutte der Gesellschaft Jesu eingebüßt haben, besaß er doch ungeschmälert deren Talente.
    Frau von Lichtenberg bereitete ihre Lektionen mit der größten Sorgfalt vor, steigerte die Schwierigkeiten je nach meinen Fortschritten, wiederholte beständig das Gelernte, bevor sie weiterging, ermutigte mich durch kleine Belobigungen und verbesserte meine Fehler mit soviel Sanftmut und Geduld, daß ich unfehlbar nicht nur ihr, sondern zugleich meinem Studiengegenstand mehr und mehr Anhänglichkeit entgegenbrachte. Nach der Mundart, die Franz und Greta sprachen, hatte ich mir bis dahin vorgestellt, das Deutsche sei eine ziemlich rauhe Sprache; als ich es aber von den Lippen der Gräfin hörte, begriff ich, wie geschmeidig und musikalisch es sein konnte, ohne an Kraft einzubüßen.
    War die Lektion zu Ende, behielt mich Frau von Lichtenberg jedesmal, um mit ihr den Imbiß einzunehmen, den sie meinetwegen um eine Stunde verschoben hatte. Auf diesen Moment freute ich mich, und gleichzeitig fürchtete ich ihn, weil er unser Beisammensein mit all seinen reizenden Augenblicken beendete. Aber sei es, daß die Gräfin diese meine Besorgnis spürte, sei es, daß meine Gesellschaft ihr gefiel, ich beobachtete, daß sie ihn mehr und mehr verlängerte.
    Es waren immer die gleichen Waffeln und die gleiche Konfitüre, die ihre schöne Hand darauf

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