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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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strich, und immer zierte diese ein einziger Ring mit Diamanten und Rubinen, immer derselbe. Um den Hals trug sie an einer Kette ein goldenes Herz und einen zerbrochenen Schlüssel, welche mich neugierig machten, so daß ich meinen Vater danach fragte: »Laut Bassompierre«, sagte er, »trägt sie diesen Schmuck seit dem Tod ihres Gemahls, den sie sehr geliebt haben soll. Für meinen Geschmack ist der zerbrochene Schlüssel ein etwas zu pathetisches Symbol, das auf die Dauer leicht widerlegt werden könnte. Da Bassompierre bei Madame von Lichtenberg abgeblitzt ist, hält er sie für eine unzugängliche Tugend, und tatsächlich lebt sie ja sehr zurückgezogen. Aber wer weiß, ob sie sich in ihrer Zurückgezogenheit nicht langweilt. Schließlich ist der Graf seit zwei Jahren tot.« Ich schwieg, doch mißfiel mirdiese Weise, über sie zu sprechen. Fehler und Schwächen an meinem Idol zu argwöhnen ertrug ich nicht.
    Dennoch war in meinen Gefühlen, während ich die Gräfin die erste Waffel bestreichen sah, keine Spur mehr von der fast sohneshaften Dankbarkeit, die ich beim erstenmal empfunden hatte. Und, um ganz offen zu sein, die Blicke, die ich über ihre Reize gleiten ließ, hätte sie gewiß als höchste Frechheit gescholten, wären ihre Lider in dem Augenblick nicht gesenkt gewesen. Zwar fühlte ich mich ein wenig schuldig, sie so zu betrachten, da ich von einem Gefühl für sie durchdrungen war, das an Verehrung grenzte. Doch schmeichelte ich mir, meine zudringlichen Augen ziemlich schnell abzuwenden, sobald sie den Kopf hob und mir meine Waffel auf einem Tellerchen reichte. Seit ich meine Siesta mit Toinon teilte, glaubte ich,
il gentil sesso
zu kennen, doch wußte ich Grünschnabel noch nicht, daß eine Frau ihre Augen nicht braucht, um die Wärme eines Blickes zu spüren.
    »So, bittesehr!« sagte sie, wenn sie die Waffel auf ein Tellerchen legte. »Nun frischen Sie Ihre Kräfte auf.«
    Damit warnte sie mich, daß ich meine Blicke einziehen müsse, die ich über ihren Hals, ihren Busen und jene Formen hatte wandern lassen, die ihr Reifrock verbarg. Sie sagte diese Worte jedoch so gleichmütig, daß ich wohl das Signal heraushörte, mich beschränken zu müssen, aber nicht ahnte, wieviel Komplizenschaft sie einschlossen. Derweise verschafften ihre Geschicklichkeit und meine Naivität uns um so reizvollere Momente, als sie am verschwommensten Rande ihres wie meines Willens verblieben und meinerseits keine Initiative und ihrerseits keine Entscheidung forderten.
    Sie empfing mich jedesmal in einem anderen Raum ihres Hôtels, und ich hätte bemerken müssen – was mir jedoch erst später bewußt wurde –, daß dieser Raum, sei es gewollt, sei es, wie ich glaube, eher ungewollt, jedesmal kleiner war. Denn von einem großen Salon wechselten wir in einen intimeren Salon über, von diesem in einen kleinen Wintergarten voll grüner Pflanzen, von dem Wintergarten in ein Zimmerchen und von dem Zimmerchen in ein Kabinett, wo neben einem Frisiertisch nur noch Platz für einen Lehnstuhl und einen Schemel war. Indessen vollzog sich dieser Übergang nicht regelmäßig, denn zumindest einmal kehrten wir in den großen Salon zurück.Doch blieb diese Rückkehr, die ich betrübt als einen Rückschritt erlebte, die Ausnahme. In der Folge behauptete sich die Tendenz zur Verkleinerung des Ortes und siegte schließlich ganz.
    Es war in besagtem Kabinett, als Frau von Lichtenberg eines Tages nach dem Imbiß, während sie plauderte, eine kleine Feile mit Elfenbeingriff von ihrem Frisiertischchen nahm und sich die Fingernägel zu feilen begann. Zunächst überraschte mich dieses Tun, aber bei einiger Überlegung war ich bezaubert, stellte sie mich damit doch auf einen Fuß der Vertraulichkeit, den ich mir nie zu träumen gewagt hatte. Dazu gewährte es mir zwei Freuden: ich konnte sie, wie ich wollte, mit meinen Blicken überziehen, weil sie die Augen auf ihre Nägel senkte, und konnte ihr lauschen, denn vermutlich wurde unser Gespräch gerade durch ihre Beschäftigung familiärer.
    Auf eine Frage von mir sprach sie mit einer Offenheit über Bassompierre, die mich erstaunte.
    »Bassompierre«, sagte sie, »gehört zu den Deutschen, die die Franzosen ein wenig verachten, weil ihnen angeblich gewisse Tugenden abgehen, und die sie gleichzeitig offenen Mundes für ihre Fehler bewundern. Seit er in Frankreich ist, hegt er den einzigen Ehrgeiz: seine handfesten deutschen Tugenden durch die glänzenden französischen Fehler zu ersetzen,

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