Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
vornehmlich was seinen Umgang mit Frauen betrifft.«
»Ich hätte gewettet«, sagte ich, »er sei einer Ihrer Freunde.«
»Er wäre es gewesen, hätte er die Schwelle der Freundschaft nicht überschreiten wollen. Aber wer könnte eine Liebe ernst nehmen, die tagtäglich die eine Hälfte des Menschengeschlechts prostituiert?«
Da ich schwieg, hob sie die Augen, warf mir einen lebhaften Blick zu und fragte: »Sind Sie einmal seinen Nichten begegnet?«
Eine so direkte Frage von einer so überaus zurückhaltenden und höflichen Dame machte mich zuerst sprachlos, und ich antwortete nicht gleich.
»Doch«, sagte ich, »auf seiner Galiote. Wir fuhren gemeinsam nach Saint-Germain-en-Laye, auf der Seine.«
Sie schwieg, und mich ergriff ein tödlicher Schrecken bei dem Gedanken, daß Bassompierre ihr womöglich von Toinon erzählt hatte. Die folgende Frage, die ich fürchtete, bevor siekam, brachte mir darüber keine Klarheit, denn wenn sie an sich auch ziemlich indiskret war, so schien ihre Indiskretion doch nicht auf mich zu zielen.
»Wie soll man sich erklären«, sagte sie, »daß ein wohlgeborener, hochgebildeter und empfindsamer Edelmann wie Bassompierre an so gemeinen Liebschaften Gefallen findet?«
Da nun wurde ich zum Verräter an Toinon, zum Lügner und, schlimmer noch, zum Heuchler, indem ich die Brauen hochzog und einfach eine Miene machte, die, ohne daß ich den Mund auftat, Frau von Lichtenberg glauben machen sollte, was sie zu hören wünschte. Ich sage »Lügner«, denn mochte mich auch das wenig sättigen, was ich in Toinon an Gemeinem sah, war dies, wenigstens am Anfang, doch das sicherste Element unserer Beziehung gewesen. Aber wie hätte ich dies einer hohen Dame erklären sollen, die in allen Dingen so ernsthaft urteilte?
Nachdem sie die Nägel ihrer linken Hand, wie sie sagte, fertig gerundet hatte, nahm Frau von Lichtenberg die Feile nun in diese Hand, um die Nägel ihrer rechten zu schleifen. Doch war sie mit dem Wechsel unzufrieden.
»Man drückt es besser aus, als man glaubt«, meinte sie mit einem kleinen Lachen, »wenn man Ungeschick mit dem Namen linkisch bezeichnet. Mit der rechten ging es so gut, aber meine linke Hand ist dermaßen ungelenk, schlechter kann man nicht feilen. Wie schade, daß meine Lieblingszofe krank zu Bett liegt! Ich könnte ihre Hilfe gut gebrauchen.«
»Madame«, sagte ich, ohne überhaupt nachzudenken (aber die plötzliche Fröhlichkeit, die aus ihrem kleinen Lachen klang, hatte mich kühn gemacht), »ich wäre entzückt, wenn Sie mir erlauben wollten, die Zofe zu ersetzen.«
»Nanu!« sagte sie. »Können Sie das denn?«
»Ich denke.«
»Ohne mich zu verwunden?«
»Seien Sie unbesorgt.«
»Na gut, versuchen wir es!« sagte sie mit einem neuerlichen kleinen Lachen, als handele es sich meinerseits um eine Kinderei.
Ich stand auf, ergriff meinen Schemel und setzte mich zu ihrer Rechten. Sie übergab mir die Feile und ihre ungelenke Hand. Ihre Finger lagen weich und warm in den meinen, dochobwohl ich dabei eine tiefe Wonne empfand, hing ich diesem Gefühl lieber nicht nach, denn unbedingt wollte ich doch eine Aufgabe gut erfüllen, die ich mein Lebtag noch nie getan hatte, da Toinon zu Hause meine Nägel mit einer kleinen Schere beschnitt.
Anfangs ging ich sehr behutsam daran, weil ich fürchtete, ihr weh zu tun, und ich spürte, wie ich vor Anstrengung rot wurde. Frau von Lichtenberg schwieg. Und weil ich niedriger saß als sie, mein Kopf in Höhe ihrer Hüfte, wüßte ich nicht zu sagen, ob sie auf mein Gesicht niedersah oder auf die Hand, die sie mir darbot. Indessen machte ich rasche Fortschritte in meinem Tun, die Spannung in mir ließ nach, und ich bemerkte das Schweigen, in dem wir beide verharrten und das durch nichts gerechtfertigt war, es sei denn meinerseits durch das lebhafte – scheinbar so unverhältnismäßige – Vergnügen, mit ihrer Hand zu verfahren, wie ich es verstand, Herr über sie zu sein und mich zu verwundern, wie sehr sie durch ihre Weiße und feine Bildung von der meinen abstach.
Obwohl ihre Finger völlig untätig und fügsam waren, hatte ich, sobald ich meinen Griff veränderte, den Eindruck, daß sie mich liebkosten. Und nach einer Weile bemerkte ich, daß ihr Atem tiefer und langsamer ging. Ich hätte daraus geschlossen, daß sie entschlummerte, wäre ich, als ich von meiner Arbeit aufsah, nicht ihren sehr wachen Augen begegnet, die mir jedoch jener Wachheit ledig schienen, die sie für gewöhnlich beherrschte. Ich begriff
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