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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Verlaß auf zweifelhafte Gerüchte. Kann sein, das erste Gerücht ist falsch, kann sein, das zweite, oder auch alle beide.«
    »Aber angenommen«, sagte La Surie, »alle beide wären wahr, wie erklärt man sich dann den Widerspruch?«
    »Er ist nicht unlösbar. Die verwitwete Prinzessin von Condé hatte viele Liebhaber. Es ist möglich, daß der König einer davon war und daß er sich, als er Condé anerkannte, gefragt hat, ob er der Sohn Condés oder des Pagen oder sein eigener Sohn sei. In diesem Zweifel und auf Grund seiner natürlichen Güte beschloß er, ihn als Bourbonen und Prinz anzuerkennen, ohne sich zwischen den drei Hypothesen zu entscheiden. Aber in der Hitze des Augenblicks und der Wut auf Condé, weil der ihn der Tyrannei bezichtigte, ließ er sich hinreißen, seinem Neffen die trostloseste Variante an den Kopf zu werfen.«
    »Trotzdem, das war hart und böse«, sagte La Surie.
    »Sicher, aber es hat keine Folgen. Der König kann die einmal gewährte Anerkennung nicht rückgängig machen, Condé bleibt Bourbone und Prinz bis an sein Lebensende, und seine Söhne und Enkel nach ihm. Auch wenn es einen Fleck auf seiner Weste gab, wäscht ihn die Zeit ab.«
    Am nächsten Tag, nach beendetem Mahl, wurde uns gemeldet, daß Toinon meinen Vater zu sprechen wünsche. Mir fing das Herz dermaßen an zu klopfen, daß ich mich halb erhob, um in meine Kammer zu verschwinden, doch mein Vater hielt mich am Arm und mit einem Blick zurück, der verlangte, daß ich mich nicht entzöge. Ich setzte mich wieder, ziemlich beschämt, daß ich vor meiner Soubrette hatte fliehen wollen, und tat mein Bestes, mich zusammenzureißen.
    Toinon hatte für ihren Besuch bei uns Toilette gemacht, aber ohne daß es aussah, als verleugne sie ihren Stand. Nicht daßsie sich bis zum Reifrock aufgeschwungen hätte, doch endete ihr Rock nicht unterm Knie wie bei unseren Kammerfrauen, sondern reichte würdig bis auf die Füße und war überdies aus gutem Stoff und mit Stickereien verziert. Um den Hals trug sie eine goldene Kette, klein, aber nicht kärglich, die der Bäckermeister Mérilhou ihr laut Mariette zur Hochzeit geschenkt hatte. Beim Eintreten erwies sie uns dreien eine Reverenz, die einer wohlgeborenen Tochter angestanden hätte, dann eine zweite, die nur meinem Vater galt, während ihr Blick mich, ohne zu verweilen, aber auch ohne Hast streifte.
    »Toinon!« sagte mein Vater in dem freundlichen Ton, den er unseren Leuten gegenüber gebrauchte und der, wenn es sich um eine Frau handelte, auf besondere Art sanft und zugetan war: »Was verschafft uns die Freude, dein hübsches Gesicht bei uns zu sehen?«
    »Ich möchte Euch um eine Hilfe bitten, Herr Marquis«, sagte sie mit einer Demut und einem Respekt, die sie keinem von uns jemals bezeigt hatte, so lange sie meine Soubrette war.
    »Laß hören!«
    »Wie Ihr sicherlich wißt, Herr Marquis, haben wir in Paris seit kurzem einen neuen Polizeileutnant, welcher eine Verordnung gegen den Mißbrauch der Bäcker erlassen hat, was das Gewicht des Brotes betrifft und sogar des Weichbrotes.«
    »Warum ›und sogar des Weichbrotes‹?«
    »Beim Weichbrot, das ja ein Brot für betuchte Leute ist, wird seit jeher nicht so genau aufs Gewicht gesehen.«
    »Ich verstehe. Fahr fort.«
    »Vor vierzehn Tagen, Herr Marquis, kamen Kommissare des Herrn Polizeileutnants in unseren Laden, um das Gewicht unserer Brote zu prüfen, und auch, was gegen den Brauch ist, das Gewicht des Weichbrotes.«
    »Und sie fanden es unter dem Gewicht, das es haben müßte?«
    »Ja, Herr Marquis.«
    »Sehr darunter?«
    »Mäßig darunter, Herr Marquis.«
    »Und wie, zum Teufel, kommt das?« sagte mein Vater, indem er mit gespielter Naivität die Brauen hob.
    »Weil der Teig vor dem Backen gewogen wird und beim Backen an Gewicht verliert.«
    »Könnte man dem nicht vorbeugen, indem man etwas mehr Teig nimmt?«
    »Das könnte man, aber dann würde man satten Verlust machen.«
    »Ich verstehe. Und was taten die Kommissare?«
    »Sie stellten uns vor die Wahl: entweder die Buße zu zahlen oder etwas für die Sammelbüchse auszuspucken.«
    »Und was ist der Unterschied?«
    »Das Bußgeld geht in die Kassen von Monsieur de Sully, die Sammelbüchse ist für die Taschen des Herrn Polizeileutnants, der sich derweise für die achtzigtausend Ecus schadlos hält, die er für sein Amt bezahlt hat.«
    »Was kommt billiger: Bußgeld oder Büchse?«
    »Die Büchse.«
    »Also habt Ihr etwas ausgespuckt?«
    »Ja, Herr Marquis.«
    »Damit seid

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