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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ihre Grübchen, die reinste Haut und das klarste Gesicht, all das bildete eine so vollkommene Physiognomie, daß man weder davon lassen konnte, sie im Ganzen zu bewundern, noch sie im einzelnen anzustaunen. Mit der jungen Charlotte war eswie mit einem schönen Kunstwerk. Auf den ersten Blick und obwohl sie in Wuchs und Rundungen schon ganz fertig war, empfand man einen kindlichen Zauber. Doch sowie sie den Mund auftat und einen anblickte, war alle weibliche Verführungskunst im Spiel und dies so sehr, daß sie selbst ihre Jugendfrische ausnützte und das Kind nachahmte, das sie nicht mehr war. Zu den hier geäußerten Überlegungen gelangte ich aber erst später. In jenem Moment war mein Verstand wie gelähmt. Ich war ganz Auge.
    In Gegenwart ihres und meines Vaters hüllte sich Charlotte unter meinen Blicken in die klösterlichste Sittsamkeit, die Lider gesenkt, die Wangen rosig. Aber kaum hatte Monsieur de Réchignevoisin die Volte angekündigt und hatten unsere Väter sich entfernt, blitzte ein kleiner Kobold in ihren blauen Augen.
    »Chevalier«, flüsterte sie, »könnt Ihr die Volte gut tanzen?«
    »Einigermaßen gut.«
    »Und könnt Ihr mich richtig in die Höhe heben?«
    »Bestimmt.«
    »Hoch genug?«
    »Nur nicht zu hoch«, sagte ich, »damit man das Schamgefühl nicht verletzt.«
    »Wieso denn?« fragte sie und machte große Augen.
    »Mein Tanzmeister sagt, man dürfe seine Dame niemals so hoch springen lassen, daß ihre Knie und Schenkel zu sehen sind. So etwas, sagt er, schicke sich vielleicht für Kammerfrauen, aber nicht für Personen von gutem, sittsamem Urteil.«
    »Da hat er sicher recht«, sagte Charlotte mit der scheinheiligsten Miene. »Trotzdem ...«
    »Trotzdem was, Madame?«
    »Versprecht Ihr mir, bei Eurer Ehre als Edelmann, das Geheimnis zu wahren?«
    »Ich schwöre es.«
    »Und mir zu gehorchen?« sagte sie mit der einschmeichelndsten Miene.
    »Ich schwöre es«, sagte ich, ihr schon ganz verfallen.
    »Gut, ich möchte, daß Ihr mich in die Luft hebt, so hoch Ihr nur könnt.«
    »Aber, Madame«, sagte ich verdattert, »das hieße die Ehrbarkeit verletzen! Ich würde mir im Namen des Anstands höchsten Tadel zuziehen, zuallererst von Madame de Guise.«
    »Wäre es denn so schlimme, wenn Ihr mir zuliebe ein bißchen gescholten würdet?« und sie legte ihre Hand auf die meine und fuhr mit leichten Fingern darüber hin.
    Ich erschauerte bei dieser Berührung.
    »Übrigens«, setzte sie hinzu, »wird man eine Unbesonnenheit unser beider Jungend zugute halten. Dürfen zwei Kinder sich miteinander nicht toller ergötzen als die Großen? Kann etwas Konsequenzen haben, wenn man vierzehn ist? Ich glaube, in unserem Alter darf man noch ein bißchen übermütig sein, nicht?«
    Wie konnte ich dieser Sirene widerstehen, die nicht nur meine Hand liebkoste und mich mit dem süßesten Äugeln bis ins Innerste traf, sondern auch unser beider Alter so hübsch vermählte und mich auf das unschuldigste zu einem Streich verleitete.
    Zur Erbauung meiner Urenkel – denn es ist ja möglich, daß man in ihrem Jahrhundert keine Volte mehr tanzt, weil Frömmler sie als »unzüchtig und schamlos« längst haben verbieten lassen – will ich hier drei Aspekte erklären, die das Unzüchtige dieses Tanzes in bigotten Augen ausmachten.
    Zuerst einmal hält man seine Tänzerin nicht bei der Hand, sondern indem man beide Hände um ihre Taille legt: eine gleichsam besitzergreifende Gebärde, wie man zugeben wird, und das um so mehr, als die Tänzerin sich diese nicht etwa verbittet; vielmehr legt sie ihre rechte Hand locker auf die linke Schulter ihres Gegenübers. Dann läßt man sie ohne Pause bald von links nach rechts, bald von rechts nach links in einem andauernden Wirbel kreisen, der sie in einen Zustand von Schwindel versetzt und ihre Wehr zusätzlich schwächt. Hat man durch dieses endlose Drehen schließlich ihre stillschweigende Komplizenschaft erreicht, hebt man sie empor: das Sinnbild einer Entführung, eines Raubes, bei dem sie allerdings mittun muß, denn um bei diesem Sprung zu helfen, stützt sie sich mit ihrer bis dahin untätigen rechten Hand auf die Schulter ihres Partners. Gewiß schreibt die Regel vor, daß die Dame, wenn sie in der Luft ist, die linke Hand auf ihren Schenkel legt, um zu verhindern, daß ihre Röcke hochfliegen. Aber das ist pure Heuchelei, sagen die Frömmler, denn diese Geste hat den einzigen Effekt, die Aufmerksamkeit der Zuschauer erst recht auf diesen verlockendsten Teil der

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