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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Tage zuvor hatte ich ihm einen Brief tippen müssen, in dem er Dagmar in eindringlichen Worten zum Mitreisen eingeladen hatte.
    Nachdenklich streifte ich mir eine maskuline Armbanduhr (fünf Knöpfe, verdrehbarer Ring, wofür auch immer, wasserdicht bis in völlig absurde Tiefen) übers Handgelenk, setzte eine dunkel getönte Pilotenbrille auf und trat vor den Spiegel.
    »Er wird schon wieder auftauchen«, sagte ich. Wenn ich den linken Arm mit dem Daumen vorne in den Gürtel hängte, bildete sich unter meiner Achsel eine schöne, L-förmige Beule. Ragobert würde sabbern vor Freude. Der Mann wollte eigentlich keinen Detektiv, sondern einen FBI-Agenten, am besten einen mit Hang zur Selbstjustiz.
    »Wahrscheinlich hast du Recht. Aber man macht sich trotzdem Sorgen.«
    »Um Willy macht man sich immer Sorgen«, sagte ich. Gründe dafür gab es genug. Willy ging nicht, Willy taumelte durchs Leben. Mit den Füßen auf tückischem Untergrund und dem Kopf in den Wolken. Und dem Puls in der Hose. Willy hatte einen Sextrieb, mit dem man einen gestrandeten Öltanker freischleppen könnte. Wenn es ihn überkam, zog er los und kehrte nicht eher zurück, bis er irgendwen oder irgendwas aufgegabelt hatte. Egal wie, egal was.
    »Er wird auf der Pirsch sein«, sagte ich, leichthin, mit anderem beschäftigt. »Wenn er bis heute Abend nicht zurück ist, ziehen wir mal um die Häuser und sehen nach ihm. So, ich muss los. Kann ich den Commo haben?« Konnte ich.
    Ragobert war mein erster wirklich feister Kunde. Sollte ich seinen Fall knacken, könnte mir das eine rosige Zukunft bescheren. Schließlich vertrat er einen Weltkonzern.
    Ich hupte am Schlagbaum zur Baustelle. Sofort näherte sich ein Wachmann mit einem tragbaren Funkgerät in der Hand. Man errichtete hier, in Saarn, direkt an der B l, ein Gebäude zum Zwecke schneller Nahrungsaufnahme, doch was die Sicherheitsmaßnahmen anging, hätte es auch ein Atomreaktor werden können.
    »Herr Knauff erwartet mich«, sagte ich zu dem Kerl, noch ehe er auch nur eine blöde Frage an mich richten konnte. Zögernd und erst nach Rücksprache mit seinem Walkie-Talkie gab er mir den Weg frei. Ich hätte einen LKW voll Ziegel steuern und im Hintergrund hätten 20 seit Tagen däumchendrehende Maurer stehen können, er hätte mir den Weg nur unter Zögern und nach Rücksprache freigegeben. Sie sind alle so.
    Ich drückte mir ein Kaugummi zwischen die Zähne und pumpte meine Atmung ein wenig hoch, bevor ich die drei Stufen zur Türe des Bürocontainers erklomm und nach einmaligem Klopfen meine Hand schwer auf die Klinke fallen ließ.
    Edwin Knauff saß an seinem Schreibtisch mit der Miene eines Mannes, der schwer trägt an der Last der Verantwortung. Er war Mitte Fünfzig, breit, massig, mit stark behaarten Armen und einer Vorliebe für militärisch geschnittene Hemden mit halbem Arm. Seine eigentümlich weichen Gesichtszüge wirkten rund um die Uhr so, als habe er sich soeben erst rasiert. Man war ständig versucht, nach Resten von Schaum hinter seinen Ohren zu schielen.
    Eine tiefe Sorgenfalte furchte ihm die schmale Stirn. Schmal, was den Abstand zwischen dichten, dunklen Brauen und noch dichterem, dunklem Haaransatz anging.
    Doch es war schön, zu sehen, wie sich seine Züge glätteten, ja, wie sich eine freudige Röte in seine Wangen schlich, als ich mit Schwung und berstend vor Tatendurst durch seine Türe gestürmt kam. Der Mann war nicht nur mein bester Kunde. Er war ein Bewunderer. Und das, obwohl ich seit Mitte November an seinem Fall bastelte und immer noch nicht den gewünschten Skalp auf seinen Schreibtisch legen konnte.
    Was, unter Umständen, auch ein ganz klein bisschen damit zusammenhängen mochte, dass ich Detektiv und der Ansicht bin, es genügt vollkommen, wenn Ärzte durch ihren Eid zu einer schizophrenen Berufsausübung gezwungen werden. (Oder etwa nicht? Patient geheilt -Kunde futsch. Verrückt, das.) Denn, mal ganz im Ernst: Edwin Knauff und sein Konzern mochten meine Zukunft sein, rosig und alles, doch erst mal waren sie meine Gegenwart, und bevor ich keinen neuen Fall zu bearbeiten hatte, schien es mir nicht, na ja, unklug, diesen hier eventuell noch ein bisschen zu stretchen. Doch dazu gehörte auch, den Kunden bei der Stange zu halten, und dafür wiederum brauchte es Fortschritte. Der Rest war Timing.
    »Halten Sie sich fest!«, sagte ich zu ihm, stürmte durch sein Büro zur großen Kartenwand, schnappte mir ein paar Pins, zog eine Straßenkarte von Mülheim aus der

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