Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
befürchtete Nachahmer, man war besorgt, die Sache könnte sich ausbreiten, die falschen Schlagzeilen produzieren, zu einer Mode werden. Deshalb hatte man mich angestellt und versuchte, die Polizei so gut es ging draußenzuhalten. Auf die Idee, einen Psychologen einzuschalten, um ein Täterprofil erstellen zu lassen, war Ragobert persönlich gekommen. Durch irgendwas im Fernsehen.
    Ich hielt das zwar, ehrlich gesagt, für Schwachsinn, hatte dann aber doch den nötigen Kontakt hergestellt. Und Dr. W. Heckhoff, Kriminalpsychologe, gerichtsmedizinischer Gutachter, Spezialgebiet: Täterprofile, ins Leben gerufen. >Willy<, für Freunde.
    Es war, muss ich zugeben, eine Notlösung. Ich hätte lieber den etwas wortgewandteren Scuzzi genommen, doch Ragobert war Amerika-Fan und als solcher dachte er in Hollywood-Klischees. Er glaubte nur an Leute, die ihrer Rolle gerecht wurden. Einen Psychologen, der aussah wie ein Azurro-singender, pizzabackender, gondelsteuernder, eisverkaufender Jung-Mafioso, konnte man ihm nicht andrehen. Also entschied ich mich für Willy, weil er als einziger unter den ganzen Stormfuckers zumindest ansatzweise so wirkte, als ob er überhaupt, und wenn, dann etwas anderes als, tja, Kampfsport studiert haben könnte. Außerdem hatte er an dem Tag gerade eine 24-stündige Session mit einer 48-jährigen, alkoholabhängigen Nymphomanin hinter sich und sah wesentlich älter aus als so schon.
    Und obendrein besaß er auch noch diese wunderbare Garderobe, die seine Mutter ihm immer gekauft hatte: Oberhemden in dezenten Farben. Flache Schuhe. Schleifen und Krawatten. Ordentliche Jacketts. Hosen mit Bügelfalten, anstatt ausschließlich Jeans oder Leder. Und - Pullunder. Strickpullunder. Ah, ich staffierte ihn prächtig aus, suchte ihm eine Brille ohne gesplittertes Glas und gebrochene Bügel, kämmte ihn ordentlich, und ab ging's. Während der Fahrt trichterte ich ihm ein, was er zu sagen hätte. Ich ließ es ihn praktisch auswendig lernen. Der Text ging im Groben so: Männlicher Einzeltäter mit möglicherweise weltverbesserischer Einstellung, latent gefährlich mit ansteigender Kurve, würde von allein nicht aufhören, musste gefasst und unbedingt auf seinen Geisteszustand hin untersucht werden. Ich wusste, Ragobert würde das mögen. Seiner Ansicht nach konnte es sich eh nur um einen Verrückten handeln.
    Wir traten also in sein Büro, ich stellte Willy als die angekündigte Koryphäe vor, gab das Wort an ihn weiter, und - ein Schweigen entstand. Er hatte seinen Text vergessen. Vom Auto bis zum Büro, keine fünfzig Schritte und - weg.
    Mir brach der Schweiß aus.
    »Nuun«, machte Willy gedehnt. Sehr gedehnt.
    Ich konnte ihm nicht helfen. Er würde improvisieren müssen.
    »Nuuun.« Er ging ein wenig auf und ab.
    1500 Eier standen auf dem Spiel. Für sein Gutachten alleine. Von meiner rosigen Zukunft einmal völlig abgesehen. Bei einer Firma wie dieser gibt es immer Arbeit für einen Detektiv. Sollte ich diesen Fall knacken, könnte ich mir die neue Elfhunderter Suzuki bestellen. Alles hing in diesem Augenblick an - »Hochintelligent«, stieß Willy endlich hervor. »Meiner Ansicht nach haben wir es mit einem hochintelligenten Täter zu tun«, und er fuchtelte wichtig mit der Hand herum.
    »Hochintelligent und ödipal fehlstrukturiert. Ich sehe gerade in der Vehemenz der Zerstörungen eine direkte Resonanz auf die sehr matriarchaische Ausstrahlung ihres Konzern-Images.«
    Matriarchaisch? dachte ich.
    »Ich denke, so weit können Sie folgen?«
    Nicht so recht, las man Ragoberts Miene richtig.
    »Woran«, fragte Willy in beiläufigem Tonfall, nahm seine Brille ab und hielt sie hoch, ins Licht, »woran erinnern uns die beiden Schwünge des >MMcDagobert's    Obwohl es sich bis dahin eigentlich ganz gut angelassen hatte, brach mir erneut der Schweiß aus.
    »Brüste«, wiederholte er mit Gefühl und bildete in der Luft zwei fußballgroße Kugeln nach.
    Ich zerrte am Kragen meines T-Shirts und schluckte hart. Dies hier war gefährliches Fahrwasser. Zumindest unter Kapitän Heckhoff.
    »Denken Sie an eine Bank«, forderte er ohne Übergang, ließ die Luftgebilde vergehen und stemmte stattdessen beide Fäuste auf den Schreibtisch. Mit finsterem Blick starrte er auf unseren Kunden hinab. »Denken Sie an die Deutsche Bank!«, bellte er.
    Ragobert klammerte sich an die Tischplatte und sah